× Logo Mobil

Djukanovic-Interview

Radio
Mittags Journal
Berichte Montenegro
Die kleinere jugoslawische Teilrepublik Montenegro ist in zwei Dingen in Europa rekordver-dächtig: in der Zahl ihrer Wahlen und in der Amtsdauer einer zurückgetretenen Regierung. Das Kabinett verlor Anfang April seine Parlamentsmehrheit, trat zurück, ist jedoch noch immer im Amt. Und binnen 18 Monaten erlebt Montenegro am Sonntag bereits die zweiten vorgezogenen Parlamentswahlen, wobei dazwischen auch noch Lokalwahlen stattfanden. Der Grund dieser Lage liegt vor allem darin, daß Montenegro in der Frage der Loslösung von Serbien tief gespalten ist. Zwar ist die Unabhängigkeit mit dem Belgrader Vertrag Mitte März für drei Jahre aufgeschoben worden und die Verfassung des neuen Staates Serbien und Montenegro ist fast fertig und soll bis Jahresende verabschiedet werden. Trotzdem hat Monte-negro noch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Über die Lage Montenegros und seiner 660.000 Einwohner hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Präsident Milo Djukanovic gesprochen und folgenden Bericht gestaltet:

Die kleinere jugoslawische Teilrepublik Montenegro hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, die typisch für Reformstaaten sind. Wenige sind reich, viele sind arm, wobei die Armut durch Schattenwirtschaft, Schmuggel und schlechte Steuermoral gemindert wird. Das besondere an Montenegro ist, daß dieser muliethnische Staat als einzige Telrepublik des ehe-maligen Jugoslawien vom Krieg verschont geblieben ist. Nach dem Ende von Slobodan Milosevic und dem vorläufigen Verzicht auf die Unabhängigkeit sind nun vor allem soziale und wirtschaftliche Fragen in den Vordergrund getreten. Sie haben auch den Wahlkampf für die Parlamentswahl am Sonntag geprägt. Zu den Aufgaben der künftigen Regierung sagt der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic:

1) Die grundlegende Aufgabe jeder künftigen Regierung sind die wirtschaftliche Erholung sowie eine klare Politik der Entwicklung Montenegros, die auf drei Prioritäten fußt: Land-wirtschaft, Tourismus und Schiffahrt. Dann kann Montenegro sehr schnell seine Wirtschaft entfalten und die sozialen Probleme überwinden und sich selbst zu einem Bestandteil der modernen europäischen Gesellschaften machen.

Doch gerade beim Tourismus bietet Montenegro ein kontrasreiches Bild: Herrliche Land-schaft und Küsten, Wasserknappheit dank veralteter Infrastruktur, alte Hotels und verbes-serungswürdiges Service. Zwar stieg die Zahl ausländischer Gäste in der Sommersaision, doch viele Einheimische und Serben blieben aus. Für sie ist es billiger, nach Griechenland oder in die Türkei zu fahren, wo das Verhältnis zwischen Westpreisen und östlichem Angebot nicht so drastisch ist. Auch Milos Djukanovic ist sich bewußt, daß sich gerade im Tourismus die Mentalität seiner Landleute noch ändern muß, deren Wurzeln er so erklärt:

2) Montenegro hat in seiner Geschichte jahrhundertelang mehr Kriege geführt als gearbeitet. Unter Tito hat Montenegro gemeinsam mit den anderen Teilrepubliken des alten Jugoslawien mehr ausgegeben als erarbeitet und nach all dem sind wir in den vergangenen zehn Jahren auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien durch ein wahres Golgatha gegangen. Unter diesen Umständen hat sich eine Mentalität gebildet, die vielleicht nicht die beste für den Tourismus ist. Trotzdem glaube ich, daß diese Generation versteht ihre Gewohnheiten denen des entwik-kelten Europa anzupassen. Ich bin sicher, daß die Tourismuswirtschaft ihre Lehren aus dieser Saison gezogen hat und sich gut auf die kommende vorbereitet, die zu einer vollen Erholung des ausländischen Tourismus führen wird.

Wirtschaftliche Erholung und eine Harmonisierung der Wirtschaftssysteme zwischen Monte-negro und Serbien zählen zu den Voraussetzungen für die von Djukanovic erstrebte Annäher-ung an die EU. Der Euro ist bereits die Währung Montenegros. Djukanovic betont, daß die Harmonisierung der Volkswirtschaften Serbiens und Montenegros nicht vor, sondern nur im Zuge einer EU-Annäherung erfolgen könne, weil derzeit die Reformen in Montenegro weiter fortgeschritten seien als in Serbien. Der Präsident bekräftigt, dem neuen gemeinsamen Staat eine Chance geben zu wollen; trotzdem hält er vor allem den Widerstand der EU gegen eine sofortige Loslösung Montenegros für falsch:

3) Ich bin nach wie vor überzeugt, daß es für Serbien und Montenegro das beste wäre, unab-hängige und international anerkannte Staaten zu sein und auf dieser Grundlage eine Art Union zu bilden. Ich denke dabei an all die Schwierigkeiten für das Funktionieren einer Föderation aus zwei Mitgliedern, die nirgends auf der Welt bestand hatte. In unserem Fall ist das noch schwieriger, den Serbien ist 18 Mal größer. Doch als wir den Belgrader Vertrag unterschrieben, haben wir uns festgelegt dieser Gemeinschaft aufrichtig eine Chance zu geben und noch ein Mal zu überprüfen, ob ein Leben in einem gemeinsamen serbisch-montenegrinischen Staat möglich ist. Wenn das nicht der Fall ist, können Serben oder Montenegriner in drei Jahren anders entscheiden.

Denn für drei Jahre mußte sich Montenegro verpflichten, auf ein Unabhängigkeitsreferendum zu verzichten. Diese Zeit will Djukanovic für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung nützen, um so auch die ökonomischen Grundlagen für eine allfällige Selbständigkeit zu schaffen. Dankbar ist der montenegrinische Präsident auch für die Hilfe, die USA und EU bisher geleistet haben, obwohl er gerade im Falle der Europäischen Union eine klare Strate-gie gegenüber dem Balkan vermißt:

5) Solange die verfassungsrechtliche Position des Kosovo nicht definiert ist wird der Kosovo ein potentieller Unruheherd für die gesamte Region sein. Daher müßte die EU etwas mehr strategisch über die Region nachdenken. Noch kann niemand erahnen, was die Strategie für diese Region istr. Natürlich kann man sagen, daß die Strategie die Europäisierung der Region ist; das ist richtig, das ist das Ziel. Gut ist, daß die EU versteht, daß es für sie nicht angenehm sein kann, wenn Südosteuropa instabil ist. Doch jene klare Strategie haben wir nicht, wie es zu einer beschleunigte Annäherung Südosteuropas an die EU kommen kann.

4) Wegen der langen Milosevic-Diktoatur hat Serbien mit den Reformen erst Ende 2000, Anfang 2001 begonnen. Sie erinnern sich an die Euphorie nach dem Abgang von Milosevic als verschiedene Leute sogar aus der Internationalen Gemeinschaft, ziemlich inkompetent davon gesprochen haben, Serbien werden in wenigen Monaten bei den Reformen vor Monte-negro liegen. Klar ist, daß die Geschichte nicht übersprungen werden kann. Ich würde wünschen, daß die Reformen in Serbien fortgeschrittener wären, aber ich fürchte, daß die Ergebnisse der Präsidentenwahl eine ernsthafte Warnung sind, daß die alte, konservative, nationale belastete Politik in Serbien noch immer sehr feste Stützpunkte hat. Doch ich bin Optimist und denke, daß sich Serbien immer mehr Europa und den Reformen zuwenden wird.
Facebook Facebook