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Kroatien in der Krise

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Berichte Kroatien
Nach fast fünf Jahren Verhandlungen ist Kroatien Ende Juni in die Zielgerade auf dem Weg Richtung EU-Beitritt eingebogen. Alle 33 Kapitel sind nun eröffnet, 20 sind bereits vorläufig ausverhandelt. Ministerpräsidentin Jadranka Kosor sprach daher von den letzten 500 Metern eines Marathons. Diese Strecke hat es aber in sich, denn Kroatien ist in einer tiefen Krise. Das Land steckt weiter in der Rezession, die Arbeitslosigkeit liegt trotz der Tourismussaison bei neun Prozent, die Kaufkraft sinkt, die Unzufriedenheit steigt und die konservative Regierung verliert in der Bevölkerung und im Parlament zunehmend an Rückhalt. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat sich in Zagreb umgesehen und den folgenden Bericht über die Krise gestaltet:

In Agram gibt es zwei Volksküchen; eine betreibt die Gemeinde, die zweite führt die Caritas mit Unterstützung der Franziskaner sowie lokaler und internationaler Spender. Zu Mittag herrscht in der Caritas-Volksküche mit dem Namen „Heiliger Geist“ Hochbetrieb, haben die resolute aber herzliche Chefin Djurdjica Radeljak und ihre vier Helfer alle Hände voll zu tun. Die Qualität der Küche kann sich wirklich sehen lassen; zum Speiseplan sagt Djurdjica Radeljak:

„Bei uns gibt es kein Frühstück, sondern ein Mittagessen. Doch dazu geben wir immer ein Milchprodukt, eine Fleischkonserve, Kuchen und genügend Brot, dass die Leute für das Abendessen mitnehmen können. Unser Speiseplan wechselt täglich. Heute haben wir als Mittagessen, gedünsteten Reis und Brathendel.“

Nur der kleinere Teil der Besucher isst im Speisesaal; die Mehrheit holt das Mittagessen für ihre Familien ab. Djurdjica Radeljak kennt viele ihrer Klienten persönlich, doch nach Namen und Bedürftigkeit wird nicht gefragt. Mit der Krise steige jedenfalls der Andrang, erzählt Radeljak:

„Als wir vor 15 Jahren die Küche eröffnet haben, kamen 35 Leute. Heute haben wir 700. Ich kann nicht sagen, dass die Zahl nicht drastisch ansteigt, doch jeden Tag kommen ein bis zwei neue Leute.“

Von der Wirtschaftskrise betroffen sind in Kroatien vor allem Arbeitslose, Pensionisten und Familien mit mehreren Kindern. Milch und Brot sind kaum billiger als im EU-Durchschnitt, die Lebenshaltungskosten sind hoch, und mit einem Durchschnittslohn von 700 Euro finden immer weniger Kroaten ihr Auskommen. Dazu sagt in Agram der Gewerkschafter Kresimir Sever:

„Der durchschnittlichen Familie fehlt - gemessen am durchschnittlichen Warenkorb - ein Viertel an Einnahmen. Dieses fehlende Geld gleicht die Familie durch die Überziehung des Kontos, durch Einkauf mit Kreditkarten, durch die Aufnahme von Konsumkrediten aus, die in besseren Zeiten sehr günstig waren. Auf diese Weise wurde die Kaufkraft künstlich aufrechterhalten. Doch mit der Krise und teureren Krediten durch höhere Zinsen und mit der Angst vor Arbeitslosigkeit kaufen die Menschen weniger. Statistiken zeigen, dass real der Anteil an Ausgaben für Lebensmittel im Monat bei 30 Prozent liegt; in Europa liegt dieser Wert im Durchschnitt bei 11 bis 13 Prozent; hier zeigt sich, dass Kroatien ein ziemlich armes Land ist.“

Die Krise ist zu einem guten Teil hausgemacht. Zu lange wurde nur vom Tourismus gelebt, zu wenige Betriebe sind international konkurrenzfähig, zu teuer und ineffizient sind Bürokratie, Gesundheitswesen und Staatsbetriebe. Die Reform der defizitären aber hochsubventionierten sechs Schiffswerften wurde jahrelang verschoben. Nun muss sie in Zeiten der Krise erfolgen, um das Kapitel Wettbewerb bei den EU-Beitrittsverhandlungen abschließen zu können. Betroffen davon sind 12.000 Beschäftigte. Um die Staatsausgaben zu senken, wollte die Regierung gegen den Willen der Gewerkschaften das Arbeitsgesetz reformieren. Binnen weniger Tagen unterschrieben mehr als 800.000 der insgesamt 4,4 Millionen Kroaten für ein Referendum gegen die Gesetzesänderung. Die Gewerkschaften sammelten somit mehr Unterschriften als die konservative Regierungspartei bei der Wahl vor zwei Jahren Stimmen erhielt. Die Reform liegt nun auf Eis, und auch auf anderen Gebieten muss die Regierung ersten noch beweisen, dass sie genügend Kraft hat, um jene schmerzlichen Maßnahmen umzusetzen, die auf dem Weg Richtung EU Kroatien noch bevorstehen.

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