Der Kosovo vor der Wahl
Im Kosovo wird am Sontag das Parlament gewählt; es sind wieder vorzeitige Wahlen, weil der Verfassungsgerichtshof Ende Dezember die Wahl der bisherigen Regierung für ungültig erklärt hat. Seit mehr als zehn Jahren prägt den Kosovo eine politische Krise; ob sie am Sonntag endet ist ungewiss und wird vor allem davon abhängen, wie die Partei Vetevendosje, zu Deutsch „Selbstbestimmung“ von Albin Kurti abschneidet. Kurti war bereits einmal für vier Monate Ministerpräsident. Dieses Mal sagen im Umfragen eine große relative Mehrheit voraus. Ob er mit zehn Abgeordneten nationaler Minderheiten eine Regierung bilden wird können, gilt als wahrscheinlich; doch die Frage der Regierungsbildung belasten noch andere politische und juristische Unwägbarkeiten, berichtet aus dem Kosovo unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:
Auch der Kosovo leidet natürlich unter der Corona-Pandemie; das Land zählt etwa 1,7 Millionen Einwohner. Gestern wurden knapp 2.300 Personen getestet, 250 waren positiv. Seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr starben etwas mehr als 1.500 Kosovaren an und mit Corona. Dank massiver materieller Hilfe internationaler Organisationen hielt das schwache Gesundheitswesen den Herausforderungen bisher stand, obwohl es bisher keine Impfungen gibt. Doch Unternehmer wie der Fleischfabrikant Burim Piraj in der Provinzstadt Dragasch klagen darüber, dass es zu wenige PCR-Tests gibt. Birajs Fabrik überstand die Krise zwar bisher ohne Verluste; die soziale Lage bezeichnet er aber als schwierig:
14'00 - Soziale Folgen von COVID -15'05'6 (45)
„Die sozialen Auswirkungen sind sehr groß, da der Kosovo in gewisser Weise stark vom Tourismus abhängig ist. Nur im Gegensatz zu Albanien und Kroatien, hat der Kosovo seine eigenen Touristen, das sind alle, die außerhalb des Kosovo arbeiten. Etwa eine Million Kosovo-Bürger arbeiten in Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern. Sie kommen im Sommer in den Kosovo. Obwohl sie Geld nach Hause schicken, geben sie weniger aus, wenn sie nicht kommen. Das war ein großer Verlust. Restaurants wurden geschlossen, es gab keine Feierlichkeiten, keine Hochzeiten, und deshalb viele Arbeitslose. Die wirtschaftliche Situation ist nicht gut.“
Den Wahlkampf dominierten daher wirtschaftliche und soziale Themen sowie der Kampf gegen die Korruption; die COVID-Pandemie habe keine Rolle gespielt, sagt in Pristina der Meinungsforscher Fisnik Halimi:
Q7 Fisnik Halimi, Meinungsforscher
„Das politische Virus überwältigte das Corona-Virus. Parallel zur Covid-Krise standen wir vor einer ständigen politischen Krise, und man kann sagen, dass Corona kein wichtiger Faktor war, der die Bevölkerung beeinflusste. Einmal gab es Vorwürfe, dass jemand die Regierung in der Zeit der Pandemien stürzen will, aber realistisch gesehen stand das Thema Corona während des Wahlkampfs nicht in den Mittelpunkt.“
Ein Fest für das Virus war der Wahlkampf an sich. Die Parteien hielten bei ihren Kundgebungen keinerlei Abstandsregeln ein oder waren bei öffentlichen Kundgebungen nicht in der Lage, sie durchzusetzen. …
Das zeigte sich beim Run auf Albin Kurti bei seiner Kundgebung im Zentrum der Stadt Suha Reka. Seine Anhänger trugen Masken mehr recht als schlecht. Ihnen verkündete der voraussichtlich künftige Regierungschef des Kosovo:
Albin Kurti – I-phone:
„Der Kosovo wurde von Serbien befreit, jetzt müssen wir es von der Korruption befreien. Korruption und Kriminalität machen den Kosovo zu einem schwachen Land. Es gibt Menschen, die mächtiger sind als der Staat. Es wird keine Kriminellen in unserer Regierung geben. Sie werden alle vor Gericht gestellt. Wir werden starke Strafverfolgungen und Gerichte schaffen.“
Poltische Korruption ist ein großes Problem, und zwar vor allem bei den langjährigen Regierungsparteien LDK und PDK; das zeigt eine Untersuchung der Nicht-Regierungsorganisation Cohu; sie verglich offizielle Angaben über Wahlkampfspenden von Unternehmen mit der Zuteilung öffentlicher Ausschreibungen. So spendete die Firma XY offiziell nur einige hundert Euro an die PDK, erhielt aber Aufträge in Millionen-Höhe. Das dahinter stehende System beschreibt der Direktor von Cohu, Arton Demhasaj, so:
Arton Demhasaj
Frage 5:
„Unternehmen finanzieren zunächst politische Parteien, und wenn diese an die Macht kommen, erwidern sie den Gefallen durch öffentliche Ausschreibungen um ein Vielfaches. Nachdem diese Firmen bei Ausschreibungen zu Zug gekommen waren, führten sie die Arbeiten wegen ihrer politischen Verbindungen kaum qualitativ durch, weil vor Ort eine strenge Aufsicht fehlte.“
Das Parlament in Prishtina zählt 120 Abgeordnete; jeweils zehn entfallen auf die serbische Minderheit und auf andere Minderheiten. Umfragen sehen die Partei von Albin Kurti , Vetevendosje, bei 45 bis 55 Mandaten, das sind doppelt so viele wie die traditionellen Parteien PDK und LDK zusammen erreichen dürften. Eine Regierung könnte Kurti mit Hilfe der zehn Sitze der nationalen Minderheiten bilden, die keine Serben sind, mit denen Kurti nicht koalieren will. Albin Kurtis Rechnung sieht so aus:
Albin Kurti Interview 4'41 - Kurti zu Quorum - 5'52
"In den früheren Wahlen kämpften wir um den ersten Platz; jetzt ist das nicht genug. Wir brauchen eine Mehrheit von 61 Mandaten plus von insgesamt 120. Wir haben eine gemeinsame Liste mit der amtsführenden Präsidentin, Voja Osmani, Nach der Wahl wird sie mir den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen und ich werde im Parlament eine Mehrheit von 61 Sitzen erreichen. Doch bis 5. Mai müssen wir einen neuen Präsidenten wählen, der der amtierende sein sollte. Dazu brauchen wir ein Präsenzquorum von 80 Abgeordneten. Das wird nicht leicht, ist aber machbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jene Parteien, die die Wahlen verlieren, neuerlich wählen wollen, um sogar mehr zu verlieren."
Der Kosovo hat deshalb nur eine amtsführende Präsidentin, weil der gewählte Amtsinhaber, Hashim Thaci, vom Sondergericht in Den Haag angeklagt ist, das Verbrechen während des Kosovo-Krieges im Jahre 1999 untersucht. Thaci trat zurück und sitzt derzeit in Den Haag in Haft. Umstritten ist, ob eine amtsführende Präsidentin den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen darf, oder das Parlament zuvor den Präsidenten wählen muss. Setzt sich diese Rechtmeinung durch, müsste Kurti entweder mit der LDK oder der PDK einen Pakt schließen, was er aber nicht will. Umstritten ist innerhalb und zwischen den Parteien, wie mit Serbien eine Normalisierung der Beziehungen erreicht werden kann; dazu sagt in Pristina der Journalist Dardan Gashi, der viele Jahre in Österreich gelebt hat:
Dardan Gashi 3'41'9 - Zwei Hauptfragen Dialog Serbien - 4'09
"Also die zwei Hauptfragen, wollen wir Richtung Korrektur der Grenzen mit Serbien, oder wollen wir zu dieser Autonomie für die Serben im Kosovo; diese zwei Varianten sind da, und da gibt es überhaupt keine Einigung, selbst innerhalb der Parteien und schon gar nicht zwischen den Parteien. Also das wird schon sehr schwierig, weil das wird das Hauptthema wieder; das ist leider immer für jede Regierung das Hauptthema."
Am Dialog mit Serbien sind bereits mehrere Regierung zerbrochen; Anfang Mai endet das Mandat der amtsführenden Präsidentin, und dann könnte eine Krise der Institutionen drohen, sollte der Kosovo ohne Präsident und ohne Regierung dastehen.