Lage im Kosovo vor der Parlamentswahl
Im Kosovo finden am Sonntag vorgezogene Parlamentswahlen statt. Etwa 25 Parteien und Koalition treten an. Ausgelöst hat die Wahl der Rücktritt von Regierungschef Ramush Haradinaj im Juli. Haradinaj trat zurück, nachdem er in Den Haag von einem Sondergericht für Kriegsverbrechen im Kosovo einvernommen worden war. Vor Jahren wurde Haradinaj allerdings von dem Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien freigesprochen. Doch abgesehen war die Regierung durch den Konflikt zwischen Ministerpräsident und Präsident über die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien ohnehin nur mehr sehr beschränkt handlungsfähig und verfügte im Parlament in Pristina nur über eine hauchdünne Mehrheit. Im Wahlkampf dominierten nun aber soziale und wirtschaftliche Themen sowie der Kampf gegen die Korruption. Den Wahlkampf verfolgt hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz, der den folgenden Bericht über die Lage im Kosovo zwei Tage vor der Parlamentswahl gestaltet hat:
Vor fast 11 Jahren erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien, doch das Image, ein Hort von Korruption und Unterentwicklung zu sein, haftet dem Kosovo weiterhin an. Dabei hat sich die Infrastruktur massiv verbessert; nicht nur das Autobahnnetz, auch das Internet wurden ausgebaut. Der IT-Sektor ist denn auch ein positiver wirtschaftlicher Faktor, der sich gut entwickelt. Ein weiterer wirtschaftlicher Hoffnungsträger ist die Landwirtschaft. Der Vorzeigebetrieb ist das Weingut „Stone Castle“, das mehr als 700 Hektar bewirtschaftet und zur Erntezeit mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigt. 2006 kaufte das Weingut ein Kosovo-Albaner, der vor mehr als 40 Jahren nach New York auswanderte. Die Familie besitzt und verwaltet in New York 1.200 Apartments. Einer der Söhne, der 28-jährige Avdi Gecaj, führt den Betrieb. 45 Millionen US-Dollar wurden investiert, 70 Prozent der Weine werden exportiert, auch in die EU, nach China, die USA und auch nach Serbien, wo der Wein aber nicht offiziell als Wein aus dem Kosovo verkauft wird. Seinen Mitarbeitern stellt Avdi Gecaj ein gutes Zeugnis aus:
"Die Kosovaren sind sehr diszipliniert bei der Arbeit, vor allem meine Mitarbeiter. Hier hat man zu arbeiten, danach können wir zusammensitzen und Freunde sein. Das funktioniert sehr gut. einige Leute musste ich entlassen, doch jetzt versteht ein jeder, was meine Mission hier ist."
Aber schreckt die schleppende Justiz ausländische Investoren ohne Wurzeln im Kosovo nicht zu Recht ab? Dazu sagt Avdi Gecaj:
"Die Justiz ändert sich; aber es gibt sehr viele offene Fälle. Doch ich könnte ihnen auch etwas über die Justiz in New York erzählen. Das ist nicht besser als hier. In New York kann ein Fall zwischen zwei und fünf Jahre dauern, das ist auch hier so. Doch wenn man hier investieren will, dann muss das Risiko bewerten, das hat mich nicht überrascht."
Kleinere Unternehmer haben aber sehr wohl große Herausforderungen zu meistern. Ein Beispiel dafür ist die Firma Meka in der Stadt Dragas, die Fleischwaren nach islamischen Vorschriften erzeugt. In die EU sind Lebensmittelexporte verboten; andererseits importiert die Firma die Gewürzmischungen aus Österreich und gefrorenes Geflügel vor allem aus Deutschland. Während des Kosovo-Krieges der Krieg wurde der Viehbestand massiv dezimiert, doch auch 20 Jahre später gibt es im Kosovo noch nicht ausreichend Geflügel, um den Bedarf decken zu können. Dazu sagt der Eigentümer der Firma Meka, Burim Piraj:
„Nach dem Krieg waren weder die Regierung noch die UNO-Verwaltung in der Lage, den Viehbestand wieder aufzubauen. Es ist sehr aufwendig für die Fleischindustrie gemeinsam mit den Institutionen und der Fakultät für Landwirtschaft eine Produktionskette aufzubauen, damit wir ausreichend Fleisch im Kosovo produzieren.“
Unzufrieden ist Burim Piraj mit der politischen Elite des Kosovo:
„Die Politiker haben der Wirtschaft nicht genug Möglichkeiten eröffnen, sich zu entwickeln; stattdessen haben sich die Politiker selbst in die Wirtschaft eingemischt, wo sie nichts zu suchen haben. Damit haben sie mögliche ausländische Investoren abgehalten, die Wirtschaft zu entwickeln. Wir als heimische Unternehmer sind nicht stark genug, alle neuen heimischen Arbeitskräfte zu beschäftigen; dazu brauchen wir ausländische Investoren.“
Der Kosovo hat die jüngste Bevölkerung Europas; offiziell liegt die Arbeitslosenrate bei 30 Prozent. Ein wesentlicher Faktor sind Überweisungen von Auslandsalbanern in die Heimat. Mit 800 Millionen Euro waren sie im Vorjahr mehr als doppelt so hoch wie die Güterexporte. Den Wahlkampf dominieren daher wirtschaftliche und soziale Themen. Sie stehen im Zentrum der Drei-Parteien-Koalition unter Führung von Außenminister Behgjet Pacolli. Für sie kandidiert auch Dardan Gashi, als stellvertretender Regierungschef zuständig für ausländische Investitionen. Der ehemalige Journalist hat in Österreich studiert. Er fordert eine Konzentration auf soziale Themen, denn im Kosovo gibt es bisher praktisch überhaupt keinen Sozialstaat. Dazu sagt Dardan Gashi:
"Angefangen von Sozial- und Krankenversicherung, die es noch nicht gibt, Mindestlohn. Selbst wir, die wir in der Regierung sind, also ich bin Vizepremierminister und ich habe keine Versicherung. Also ich habe eine private Versicherung, aber keine öffentliche Versicherung, das wird nicht geboten, das haben wir gar nicht. Selbst höhere Beamte, niemand, selbst unser Präsident hat keine Sozial- und Krankenversicherung."
Eine Entschädigung für Polizisten und deren Familien im Falle von Tod und Invalidität sowie die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages fordert auch die Partei LDK, die der erste Präsident des Kosovo, Ibrahim Rugova, gegründet hat. Die LDK ist derzeit in der Opposition. Ihre Hoffnungsträgerin ist nun Vjosa Osmani. Die 37-jährige Osmani ist die Kandidatin der LDK für das Amt des Regierungschefs; sie hat in den USA studiert aber trotz ihrer Jugend auch eine langjährige politische Erfahrung. Ihr zentrales Thema ist die Reform der Justiz, auch durch eine Durchleuchtung der Richter und Staatsanwälte. Dazu sagt Vjosa Osmani:
"Durch eine Überprüfung muss das Justizsystem entkriminalisiert werden. Es muss sichergestellt werden, dass nur jene bleiben, die integer sind, die beweisen können, woher ihr Wohlstand stammt und die professionell arbeiten. Der Rechtsstaat ist die Voraussetzung für alles andere."
Als ersten möglichen Koalitionspartner sieht Osmani die Oppositionspartei „Selbstbestimmung“ unter Albin Kurti. … Seine Wahlkampfauftritte zeigen dass der 44-jährige Kurti unter der Jugend des Kosovo viele Anhänger hat, die mit der alten politischen Elite unzufrieden sind. Auch Kurti erhebt den Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten; auch daran scheiterte vor der Wahl eine Allianz mit der LDK, die Kurti nach der Wahl aber für möglich hält. Gemeinsam ist beiden Parteien, dass sie einen Gebietstausch mit Serbien ablehnen, um so die Anerkennung des Kosovo durch Serbien zu erreichen. Dazu sagt Albin Kurti:
„Nein zu einem Gebietstausch; das sind Abkommen von Autokraten, die denken, dass sie Monarchen des Mittelalters sind. Wir sind eine demokratische parlamentarische Republik, in der Entscheidungen nicht von Einzelpersonen, sondern von Parlamenten getroffen werden.“
Ob diese Ablehnung auch nach der Wahl bestehen bleibt, ist offen. Der von den Präsidenten Serbiens und des Kosovo, von Alexander Vucic und Hashim Thaci, befürwortete Gebietstausch dürfte jedenfalls nach wie vor eine Option zur Normalisierung der Beziehungen sein. Doch unklar ist, wie Thacis bisherige Regierungspartei PDK und auch alle anderen Parteien bei der Wahl abschneiden werden, weil seriöse Umfragen nicht veröffentlicht wurden. Eine gemäßigtere Linie gegenüber Serbien vertritt das Parteienbündnis, dem auch Dardan Gashi angehört. Die internationale Bedeutung der Wahl formuliert Daradan Gashi so:
"Daher hoffen wir auch, dass die vernünftigen Parteien hinzugewinnen werden, die auch im Hinblick auf die Verhandlungen mit Belgrad einen vernünftigeren Standpunkt haben, damit wir endlich dieses Thema abhaken, damit wir eine gute Nachbarschaft mit Serbien aufbauen können. Insofern ist das eine unglaublich wichtige Wahl.“