Der Kosovo, die EU und die Justizreform
In dieser Woche feierte der Kosovo 20 Jahre Kriegsende. Nach 79 Tagen Krieg der NATO zogen die jugoslawischen Streitkräfte ab und die Truppen der NATO rückten in den Kosovo ein. Seit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo durch Slobodan Milosevic im Jahre 1989 wurden die Albaner aus den Institutionen des Kosovo weitgehend entfernt, von einer funktionierenden Justiz konnte nicht gesprochen werden. Vom Kriegsende bis zur Ausrufung der Unabhängigkeit im Jahre 2008 verwaltete die UNO mehr schlecht als recht das Land, darauf folgte in schwächerer Form die EU, vor allem durch ihre Polizei- und Justizmission EULEX, die zu Beginn fast 3000 Personen zählte. Nunmehr sind es noch 500 Mitarbeiter und EULEX hat seit Mitte 2018 nur mehr eine Monitoring-Funktion. Leiterin von EULEX ist seit Jahren die erfahrene griechische Diplomatin Alexandra Papadopoulou; mit ihr hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz über den Aufbau der Justiz im Kosovo gesprochen; hier sein Bericht:
Im Kosovo ist die Justiz multiethnisch, denn neben albanischen gibt es serbische Richter. Ihre Integration in das kosovarische Rechtssystem war wegen der politischen Spannungen zwischen Pristina und Belgrad und wegen der Nicht-Anerkennung des Kosovo durch Serbien jahrelang unmöglich. Obwohl die Anerkennung weiter nicht in Sicht ist, sei die Integration der serbischen Richter eine Erfolgsgeschichte, betont in Pristina die Leiterin der EULEX-Mission, Alexandra Papadopoulou:
„Die Vereinbarung über die Justizintegration wird sehr gut umgesetzt; das ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Tonnen von alten Verfahren wurden aufgearbeitet, die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Die Übersetzung ist ein Problem, wobei ältere albanische Richter noch serbisch sprechen; aber die Gesetze müssen alles ins Serbische übersetzt werden; all das finanzieren wir, doch das kostet Zeit. Hinzu kommt, dass mehr Gerichtsdolmetscher nötig sind. Doch das sind praktische Probleme, aber die Zusammenarbeit ist sehr gut."
Positiv sei, dass der Kosovo über ein Justizsystem verfüge, das funktioniere, obwohl es noch viele Mängel aufweise. Es gebe ein modernes Strafrecht sowie Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität. Das große Problem seien Rechtsanwendung und Unabhängigkeit der Justiz, erläutert Alexandra Papadopoulou
"Es gibt Fälle, die bleiben für immer in der Schublade der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Das Problem im Kosovo ist nicht das Fehlen von Gerechtigkeit, sondern die selektive Gerechtigkeit. Man wählt aus, wen man verfolgen will und wie schnell. Die Gesetze sind da, doch man kann mit deren Umsetzung spielen, und das ist das wirkliche Problem - selektive Gerechtigkeit."
Und wie sieht es mit der Korruption in der Justiz aus?
"Ein großes Problem ist die Beeinflussung der Justiz; normalerweise spricht man von Korruption; das stimmt auch, doch man muss Korruption definieren. Korruption kann Geld sein, können Abhängigkeitsbeziehungen, soziale oder familiäre Beziehungen sein; sie sind sehr stark in einem kleinen Land wie dem Kosovo; das sind die größten Herausforderungen, denen sich der Kosovo im Zusammenhang mit einer objektiven Justiz gegenübersieht."
Ein weiteres Problem seien die Kleinheit des Landes und die engen familiären Bande. Beides wirke sich zum Beispiel negativ auf den Zeugenschutz aus, betont Alexandra Papadopoulou:
"Selbst wenn man Zeugen ins Ausland bringt, ist es leicht herauszufinden, wer dieser geschützte Zeuge ist. Das ist ein kleines Land, jeder kennt jeden, man kann aus einem Dorf nicht verschwinden, denn man merkt, dass etwas vor sich geht. Jeder weiß, wer etwas weiß, somit weiß ich, wer gegen mich aussagt. Diese Gesellschaft ist nicht nur klein, sondern sehr eng miteinander verbunden. Generell ist das eine Stärke, doch es ist im Falle des Zeugenschutzes eine Schwäche. Zeugen zu haben, ist generell schwierig, sie zu schützen ist noch schwieriger."