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Interview mit Albin Kurti zu zehn Jahren Unabhängigkeit

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FJ7
Berichte Kosovo

Heute vor zehn Jahren, am 17. Februar 2008 erklärte der albanisch dominierte Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien. Während die albanische Mehrheitsbevölkerung in Pristina und anderen Städten jubelten, reagierten die Kosovo-Serben geschockt. Serbien bekräftigte, die Abspaltung niemals anzuerkennen und im Stadtzentrum von Belgrad kam es zu Demonstrationen und Plünderungen von Geschäften. Zehn Jahre später ist die Gesamtlage viel ruhiger und nüchterner, auch bei den Kosovo-Albanern; die schleppenden Reformen, haben zeigten, dass viele Hoffnungen, die mit der Unabhängigkeit verbunden waren, nicht erfüllt wurden. Das stärkt die politische Opposition; bei der Parlamentswahl im Vorjahr, wurde die Partei „Selbstbestimmung“ von Albin Kurti mit 32 Abgeordneten stärkste Kraft. Im Parlament mit seinen 120 Sitzen verfügt die Mehrparteienkoalition unter Ministerpräsident Ramush Haradinaj nur über eine hauchdünne Mehrheit; über die Lage im Kosovo hat mit Albin Kurti in Pristina unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen; hier sein Bericht:

Albin Kurti ist ein politischer Aktivist mit langer Erfahrung, nicht nur im Kampf gegen das serbische Regime unter Slobodan Milosevic. Im April 1999 verhaftet, wurde der großgewachsene, schwarzhaarige Kurti, erst im Dezember 2001 freigelassen und kehrte in den Kosovo zurück. Dort machte er rasch mit politischem Aktionismus auf sich aufmerksam, der wiederholt zu Straßenschlachten führte. Trotzdem ist Kurti politisch und ideologisch heute der einzige klare Kontrapunkt zur herrschenden politischen Elite. Seiner Ansicht nach läuft auch die wirtschaftliche Entwicklung des Kosovo in die falsche Richtung; dazu sagt Albin Kurti:

„Wir müssen die Zinssätze senkt und die Frist für die Rückzahlung verlängern, damit lokale Firmen blühen und das Außenhandelsdefizit gesenkt werden kann. Das Geld aus der Diaspora verlässt das Land wie bei einem Ping-Pong-Spiel. Wir kaufen ausländische Waren und das Kapital fließt nur, wird aber nicht vermehrt. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze; nur einer von vier Kosovaren und nur eine von acht Frauen haben Arbeit und daher müssen wir unsere Wirtschaftspolitik ändern." 

Wie wenig der Kosovo selbst erzeugt, zeigt der Umstand, dass im Jahre 2016, 60 Prozent der Budgeteinnahmen auf Zölle entfielen; Albin Kurti fordert in diesem Zusammenhang auch ein Änderung des Bildungssystems:

"Natürlich werden wir auf absehbare Zeit keine Mobiltelephone erzeugen; aber es ist lächerlich, dass wir Knoblauch aus China, Kürbiskerne aus der Türkei, Zwiebel aus Ägypten und Hühner aus Brasilien importieren. All das haben unsere Urgroßväter produziert, und die hatten keinen UNI-Abschuss. Jetzt haben wir so viele Menschen mit Universitätsabschlüssen, doch wir importieren Grundnahrungsmittel. Ich bin für einen Wohlfahrtsstaat nach kontinentaleuropäischem Muster; daher bin ich für die EU-Integration, und natürlich für den NATO-Beitritt als Sicherheitsschirm.

Als gescheitert betrachtet Kurti, die Versuche von UNO und EU, Korruption und Organisierte Kriminalität im Kosovo zu bekämpfen; Albin Kurti:

„Wir brauchen eine Justizreform mit einer Anti-Mafia-Gesetzgebung und der Beschlagnahme illegal erworbenen Eigentums; wir sollten uns viel mehr auf Verbrechen im Frieden als auf Kriegsverbrechen konzentrieren. Für mich ist es weiter ein Rätsel, warum die internationale Gemeinschaft nicht die Tonnen an Beweisen und Fakten gegen unser korrumpierten Politiker im Kosovo genutzt hat.“

Außenpolitisch ist die Partei „Selbstbestimmung“ ein Verfechter einer großalbanischen Lösung; sie könne auch nicht durch einen EU-Beitritt des Kosovo ersetzt werden, betont Albin Kurti:

„Ich sehen eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien nicht als Ersatz für eine europäische Integration. Das sind zwei unterschiedliche Dinge, die einander nicht ausschließen. Wir ergänzen einander auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Sicherheit. Doch die Entwicklung hängt von den Albanern und internationalen Faktoren ab. Hinzu kommt der Umgang mit den Albanern in den Nachbarstaaten. Kosovo und Albanien vereint, das wäre eine Staat von der Größe Dänemarks; das wäre kein Großalbanien – groß, das ist Russland.“

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