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Serbiens zwiespältige Politik: Weder EU noch Kosovo ?

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Die Furche
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„EU und Kosovo“, lautete bis noch vor wenigen Wochen das Schlagwort prowestlicher Politiker in Belgrad. Nun könnte Serbien vorläufig ohne weitere EU-Annäherung und ohne Kosovo dastehen! Grund dafür ist die Krise im Nord-Kosovo, die weit davon entfernt ist, bereinigt zu sein. Daher konnten sich die Außenminister der Europäischen Union bei ihrem Treffen am Montag nicht darüber einigen, ob Serbien nun der Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren sei oder nicht. Vor allem Deutschland war dagegen, Österreich trat für einen Kandidatenstatus auf „Probe“ (Außenminister Michael Spindelegger) ein, fand mit dieser Idee aber keinen Anklang. Entscheiden soll über dieser Frage nun der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Ende der Woche. Angesichts der der enormen Last der Probleme wird bei diesem Treffen Serbien wohl nur ein Randthema sein, ein Umstand, der Belgrads Chancen nicht unbedingt erhöhen dürfte, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Feststellung aus der jüngsten Debatte im Bundestag bleibt, wonach Serbien derzeit die Bedingungen für einen Kandidatenstatus nicht erfüllt. Eine entsprechende Warnung an die serbische Führung hatte Merkel schon bi ihrem Besuch im Sommer in Belgrad formuliert. Sie forderte dabei gutnachbarliche Beziehungen zum Kosovo, den Abbau der von Serbien finanzierten Parallelstrukturen (Verwaltung, Schulen etc. werden aus Belgrad finanziert) und die volle Bewegungsfreiheit für die EU-Mission EULEX. Diese klaren Forderungen zerstörten zum ersten Mal nachhaltig die politische Parole, wonach Serbien zwischen EU-Annäherung und dem Kosovo keine Prioritäten treffen müsse.

Denn in Serbien gewann die Demokratische Partei (DS) unter Führung von Staatspräsident Boris Tadic vor knapp vier Jahren die Parlamentswahl mit der Botschaft „EU und Kosovo“. Der Weg Richtung Brüssel sollte somit gegangen werden, ohne die Hoheitsansprüche über die albanisch dominierte ehemalige Provinz aufzugeben, die im Februar 2008 die Unabhängigkeit erklärt hatte. Ob Tadic und Co. tatsächlich je glaubte, dass beide Ziele erreichbar waren, ist zwar unwahrscheinlich, doch Wunschdenken ist auch in der Politik nicht auszuschließen. Genährt könnte derartige Illusionen der Umstand haben, dass die EU-Mitglieder gegenüber dem Kosovo-Problem keine einheitliche Linie gefunden haben. Fünf EU-Staaten (Spanien, Rumänien, Griechenland, die Slowakei und Zypern) erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo bisher nicht an, und das machte es Belgrad natürlich nicht gerade leichter, päpstlicher zu sein als der Papst.

Eine Anerkennung des Verlusts der Provinz hat der Westen Serbien noch dadurch weiter erschwert, weil die NATO um den Kosovo nie offiziell Krieg geführt hat („humanitäre Intervention“) und nach der Niederlage Belgrads im Sommer 1999 und dem Abzug von serbischer Polizei und jugoslawischen Streitkräften statt einer Kapitulation eine militärtechnische Vereinbarung (Kumanovo) und die UNO-Resolution 1244 verabschiedet wurden. Milosevic konnte seiner Bevölkerung somit einreden, gesiegt zu haben, denn Territorien gehen in der Regel nur nach Kriegen und Kapitulationen verloren, die nun eine prowestliche Regierung eines sich demokratisierenden Serbien anerkennen soll.

Hinzu kommt, dass Vorurteile zwischen Serben und Albanern enorm stark, die Geschichte des Konflikts weit hinter Slobodan Milosevic zurückreicht und auf serbischer Seiten kein Bewusstsein dafür besteht, welche Verbrechen im serbischen Namen vor und im Kosovo-Krieg begangen wurden. Die albanische Seite hat es dagegen verabsäumt, den Serben zu zeigen, dass sie tatsächlich gewollte Staatsbürger des Kosovo sind. Traumatisch wirken noch immer die massiven Ausschreitungen gegen die Volksgruppe aus dem Jahre 2004 nach, und auch die Vorwürfe, nach dem NATO-Krieg im Jahre 1999 seien gefangene Serben als Organspender missbraucht und dann ermordetet worden, belastet das Klima.

Für serbische (Regierungs-)Politiker war es somit innenpolitisch weit sicherer die Illusion zu nähren, der Kosovo sei haltbar als bittere Wahrheiten zu verkünden, die Provinz sei verloren, und eine Anerkennung werden de n Weg Richtung EU beschleunigen. Um diesen Weg nicht zu gefährden stimmt Belgrad auf Druck aus Brüssel einem Dialog über technische Fragen mit der Regierung in Pristina zu. Dabei ging und geht es um die Teilnahme des Kosovo an internationalen und regionalen Konferenzen, die Anerkennung von Universitätsdiplomen, Reiseerleichterungen, die Rückgabe von Katasterbüchern, den Warenverkehr und Grenzregelungen. All diese Themen berühren natürlich die Staatlichkeit des Kosovo, die Belgrad nicht anerkennen kann und will. Geführt wurde der Kampf unter Präsident Boris Tadic aber nicht mehr um den ganzen Kosovo, sondern nur mehr um den serbisch dominierten Nordteil der Provinz mit seinen vier serbischen Gemeinden.

Dieser Kampf erlitt im Frühsommer einen massiven Rückschlag als Pristina albanische Zöllner und Grenzpolizisten an den beiden Grenzübergängen (Brnjak und Jarinje) im Norden zu Serbien stationierte. Damit wollte die kosovarische Regierung ihre Hoheitsrechte auf das gesamte Territorium ausdehnen, und das führte zu einer massiven Gegenreaktion. Belgrad protestierte scharf und die Kosovo-Serben im Norden errichteten Straßenblockaden, und fakelten einen Grenzübergang ab, ehe eine schließlich um 600 Soldaten (Deutsche, Österreicher) verstärkte Friedenstruppe KFOR die militärische Kontrolle wieder erlangte. Ende November erreichten dann die Zusammenstöße zwischen den Serben und der Friedenstruppe KFOR an den Barrikaden eine neue Eskalationsstufe. Zum ersten Mal wurden KFOR-Soldaten gezielt beschossen und auch mit Sprengfallen angegriffen. Dabei wurde zwei deutsche Soldaten durch Schüsse am Arm und am Bein und ein österreichischer KFOR-Soldaten durch Splitter im Brustbereich verletzt. Das Katz- und-Maus-Spiel um die Zugangswege zu den beiden Grenzübergängen zu Serbien durch das Errichten, Räumen und Wiedererrichten von Barrikaden droht somit völlig außer Kontrolle zu geraten. Aktiv sind dabei auf serbischer Seite keineswegs nur Hooligans und Söldner, die von der lokalen Organisierten Kriminalität finanziert werden, der jede Form von Ordnung ein Dorn im Auge ist.

Vielmehr ist es für die Kosovo-Serben im Norden unvorstellbar unter albanischer Hoheit, von Pristina aus, regiert zu leben. Dabei rächt sich nun, dass der Norden von der internationalen Gemeinschaft viel zu lang als rechtlose Zone akzeptiert wurde, und dass die albanisch dominierte Regierung des Kosovo bisher kaum symbolische Schritte zur Vertrauensbildung gesetzt hat. So inakzeptabel die Übergriffe auf KFOR-Soldaten auch sein mögen, so muss doch klar sein, dass die Serben wohl nicht ganz zu Unrecht fragen, warum sie das einzige Volk sind, dem das Selbstbestimmungsrecht beim Zerfall Jugoslawiens nicht gewährt wurde.

Den Kosovo-Serben im Norden bedeutet jedenfalls die weit entfernte Karotte einer EU-Perspektive nichts, und drei der vier Gemeinden im Norden sind noch dazu politisch in der Hand der (nationalistischen) Parteien, die in Belgrad in der Opposition sind, und der Regierung unter Präsident Boris Tadic keinen Erfolg gönnen: Belgrads einziger wirklicher Hebel ist das Geld, und das Wissen der lokalen Serben, dass sie auf die Schutzmacht Belgrad angewiesen sind. Der Druck aus Belgrad dürfte jedenfalls gewirkt haben, denn wenigstens um Raum Zubin Potok, wo beim Barrikaden-Kampf in der Vorwoche 21 KFOR-Soldaten verletzt wurden, begann die Räumung der Straßensperren, wobei lokale Serben und die KFOR zusammenarbeiteten. Zuvor hatten Belgrad und Pristina beim technischen Dialog in Brüssel bereits eine Einigung über ein Grenzregime im Norden erzielt. All diese Schritte kommen sehr spät, vielleicht wohl auch zu spät, um beim kommenden EU-Gipfel noch den Kandidatenstatus zu retten, weil alle Vereinbarungen erst umgesetzt werden müssen, und auch noch viele Sperren in anderen Gemeinden zu räumen sind.

Serbien hat jedenfalls bei Deutschland (und Österreich) viel an Vertrauen und Wohlwollen verspielt, das das Land mit dem Abschluss der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal im Frühsommer gewonnen hat. Die Rechnung dafür und für seine jahrelange Schaukelpolitik zwischen EU und Kosovo könnte Präsident Boris Tadic zahlen. Anfang Mai stehen Parlamentswahlen an; wirtschaftlich hat Tadics Regierung kaum etwas vorzuweisen, und die Verweigerung des Kandidatenstatus wäre ein weiterer herber Rückschlag. Doch in Belgrad haben sich die innenpolitischen Kräfteverhältnisse verändert; und in Brüssel und Berlin kann Tadic daher nicht mehr damit punkten, er sei der einzige Garant einer EU-Annäherung seines Landes, eine Parole mit der Tadic und seine DS die vergangenen Wahlen noch knapp gewinnen konnten.

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