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Der Kosovo als Unruheherd und Stolperstein

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Berliner Tagesspiegel
Berichte Kosovo
Der Endkampf um die Zukunft des Kosovo und um die weitere EU-Annäherung Serbiens wird derzeit auf drei Ebene geführt: vor Ort im kompakt serbisch besiedelten Norden des Kosovo, in Belgrad und in Brüssel. Im Norden haben die Zusammenstöße zwischen den Serben und der Friedenstruppe KFOR an den Barrikaden eine neue Eskalationsstufe erreicht. Zum ersten Mal wurden KFOR-Soldaten gezielt beschossen und auch mit Sprengfallen angegriffen. Dabei wurde zwei deutsche Soldaten durch Schüsse am Arm und am Bein und ein österreichischer KFOR-Soldaten durch Splitter im Brustbereich verletzt. Das Katz- und-Maus-Spiel um die Zugangswege zu den beiden Grenzübergängen zu Serbien durch das Errichten, Räumen und Wiedererrichten von Barrikaden droht somit völlig außer Kontrolle zu geraten. Aktiv sind dabei auf serbischer Seite keineswegs nur Hooligans und Söldner, die von der lokalen Organisierten Kriminalität finanziert werden, der jede Form von Ordnung ein Dorn im Auge ist.

Vielmehr ist es für die Kosovo-Serben im Norden unvorstellbar unter albanischer Hoheit, von Pristina aus, regiert zu leben. Symbol für diesen Herrschaftsanspruch sind albanische Zöllner und Grenzpolizisten, die nun an den beiden Übergängen zu Serbien stationiert sind, und deren Stationierung vor einem halben Jahr die Spannungen auslöste. Dabei rächt sich nun, dass der Norden von der internationalen Gemeinschaft viel zu lang als rechtlose Zone akzeptiert wurde, und dass die albanisch dominierte Regierung des Kosovo bisher kaum symbolische Schritte zur Vertrauensbildung gesetzt hat. So „inakzeptabel die Übergriffe“ (Guido Westerwelle) auf KFOR-Soldaten auch sein mögen, so muss doch klar sein, dass die Serben wohl nicht ganz zu Unrecht fragen, warum sie das einzige Volk sind, dem das Selbstbestimmungsrecht beim Zerfall Jugoslawiens nicht gewährt wurde.

Den Kosovo-Serben im Norden bedeutet jedenfalls die weit entfernte Karotte einer EU-Perspektive nichts, und drei der vier Gemeinden im Norden sind noch dazu politisch in der Hand der (nationalistischen) Parteien, die in Belgrad in der Opposition sind, und der Regierung unter Präsident Boris Tadic keinen Erfolg gönnen. Tadic und sein Kabinett spielten aber auch bis vor kurzem die nationalistische Karte, und gossen so noch Öl ins Feuer. So verkündete die ehemalige Milosevic-Gefolgsmann und derzeitige Innenminister Ivica Dacic jüngst, „niemand dürfe in Serbien erklären, dass der Kosovo verloren und dass man nicht um den Kosovo Krieg führen werden, weil ein Gleichgewicht des Schreckens in der Region aus Sicherheitsgründen nötig sei.“

Nach einem Sturm der Entrüstung bei gemäßigten Politikern in Belgrad ruderte Dacic dann zurück und betonte, er habe nicht zum Krieg aufgerufen. Das stimmt zwar, und für die Streitkräfte sind nicht Dacic, sondern der prowestliche Verteidigungsminister Sutanovac und Staatspräsident Tadic verantwortlich. Trotzdem war die Aussage unverantwortlich, doch es ist bereits Wahlkampf, denn spätestens Anfang Mai wird das Parlament neu gewählt. Wirtschaftlich hat die Regierung nichts vorzuweisen, Armut und Arbeitslosigkeit sind groß, und trotz der Auslieferung aller mutmaßlichen Kriegsverbrecher droht nun auch der erhoffte Status eines EU-Beitrittskandidaten von Brüssel verwehrt zu werden. Tadic und Co. könnten somit die Rechnung für eine Schaukelpolitik bezahlen, die den Kampf und den Kosovo und die EU für vereinbar erklärten. Vorgestern zog Tadic jedenfalls die politische Notbremse und rief die KFOR zu äußerster Zurückhaltung und die Kosovo-Serben zum Abbau der Barrikaden auf. Serbien sei von der EU nun weiter entfern als vorgestern, betonte Tadic. Zwar kann Tadic mit einem Kandidatenstatus im Rücken noch keine Wahlen gewinnen, doch ohne weitere EU-Annäherung hätte er wohl nur geringe Chancen, die Macht seiner Regierungspartei zu wahren.

Um einen möglichen Kandidatenstatus doch noch zu retten haben führende serbische Politiker wie Vize-Regierungschef Bozidar Djelic und Außenminister Vuk Jeremic eine Rundreise durch die EU unternommen. Gleichzeitig verhandeln in Brüssel die Vertreter Serbiens und des Kosovo, Borislav Stefanovic und Edita Tahiri über sogenannte technische Probleme. Dieses Mal ging es um die Präsenz des Kosovo bei regionalen Konferenzen und um ein Regime für die Grenzkontrollen an den beiden Übergängen im Norden. Tahiri war Belgrad, die bisher erzielten Vereinbarungen nicht umzusetzen. Dass in einem derartigen Klima am Balkan in Brüssel Durchbrüche zu erwarten sind, halten beide Unterhändler für unwahrscheinlich. Bis zum EU-Gipfel am 9. Dezember bleibt jedenfalls nur mehr wenig Zeit, zumal die EU derzeit andere Probleme als den Balkan hat, sodass die Latte für eine weitere Annäherung der gesamten Region ohnehin recht hoch liegt.

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