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Der Kosovo und Arigona

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Wiener Zeitung
Berichte Kosovo
„Guten Tag, mein Name ist Laura Hartmann. Was kann ich für Sie tun?“ Diese freundliche Ansage können potentielle Kunden in Deutschland hören, denen Firmen bestimmte Produkte vorstellen wollen. Was die Kunden allerdings nicht wissen dürften sind die tatsächliche Nationalität und der Ort des Callcenters, mit dem sie verbunden sind, wenn sie die entsprechende Nummer gewählt haben. Das Callcenter liegt etwas außerhalb der Kosovo-Hauptstadt Pristina und eine Mitarbeiterin mit dem Namen Claudia Hartmann gibt es nicht. Der Name ist vielmehr ein Pseudonym, das eine junge Mitarbeiterin des Callcenters mit Wissen und Zustimmung der Firmenleitung gewählt hat – schließlich sollen deutsche Kunden durch die Nennung eines albanischen Vor- und Familiennamens weder verunsichert noch verwirrt werden.

In dem Callcenter arbeiten 250 junge Albaner und Albanerinnen aus dem Kosovo, die praktisch alle aus Deutschland in den Kosovo zurückgekehrt sind; teilweise kamen sie schon unmittelbar nach dem NATO-Krieg im Jahre 2000 als Kinder zurück und fanden in dem Center Arbeit, das seit 2009 in Pristina besteht. Die Arbeitszeit beträgt sechseinhalb Stunden, 30 Minuten sind Pause, das Gehalt liegt im Durchschnitt inklusive Provision pro Monat bei etwa 350 Euro, denn der Euro ist auch die Währung des Kosovo.

Der Kosovo ist in doppelter Hinsicht der jüngste Staat in Europa. Zum einen verfügt er wohl über die jüngste Bevölkerung Europas und über eine der höchsten Geburtenraten. 70 Prozent der Bewohner sollen unter 30 sein, doch wirklich zuverlässige Statistiken gibt es nicht. Zweitens erklärte die albanische Mehrheit im Februar 2008 nach fruchtlosen Verhandlungen mit Serbien, die unter internationaler Vermittlung stattfanden, seine Unabhängigkeit von Belgrad. Knapp 70 Staaten, darunter 22 Länder der EU haben diese Unabhängigkeit bisher anerkannt, die von Serbien weiterhin mit allen diplomatischen Mitteln bekämpft wird. Trotzdem zeigt sich deutlich, dass der Kosovo zunehmend die Folgen des Krieges und der serbischen Unterdrückung hinter sich lässt. Diese Vergangenheit und das noch immer ungelöste Verhältnis mit Serbien prägen vor allem die Probleme im Zusammenhang mit dem kompakt besiedelten serbischen Norden. Dessen Integration in den Gesamtstaat ist die große Herausforderung für die Zentralregierung und die Friedenstruppe KFOR sowie für die Justiz- und Polizei-Mission EULEX. Denn im Norden mit seiner direkten Grenze zu Serbien sind Organisierte Kriminalität und Schmuggel besonders ausgeprägt. Die Herstellung des Rechtsstates ist daher dort besonders vordringlich aber auch besonders schwierig – nicht nur weil sich Serbien und die Kosovo-Serben widersetzen, sondern weil auch der internationalen Gemeinschaft der Mut zu klaren und kompromisslosen Schritten fehlte und fehlt.

Im größeren Teil des Landes, südlich des Flusses Ibar, in den serbischen Enklaven arbeitet die serbische Bevölkerung dagegen immer stärker mit der albanischen Mehrheit zusammen. Im Süden dominieren daher zunehmend Probleme der Transition, die in anderen Ländern Ost- und Südosteuropas auch zu finden waren und sind. Dazu zählen der Aufbau einer effizienten Verwaltung, der Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität, die Verbesserung der Infrastruktur und vor allem die Gewinnung ausländischer Investoren, um Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung zu schaffen, die teilweise sehr gut qualifiziert ist und oft eine Fremdsprache fließend beherrscht.

So schwierig die Lage ist, so unübersehbar sind auch die Veränderungen. In vielen Teilen des Kosovo werden Straßen hergerichtet, sogar die erste Autobahn in Richtung Albanien wird bereits gebaut. Außerdem lassen sich im Kosovo zunehmend internationale Firmen finden, die seine billigen Arbeitskräfte als verlängerte Werkbank nutzen. Hinzu kommen lokale Unternehmer wie Ramiz Kelemendi, der in seinem Mischkonzern inklusive Einkaufszentren bereits mehr als 1.600 lokale Arbeitskräfte beschäftigt und versucht, vor allem die Landwirtschaft des Kosovo zu fördern. Natürlich gibt es keinen Zweifel, dass es sich in Österreich oder Deutschland weit besser leben lässt als im Kosovo, doch das gilt wiederum auch nicht nur für dieses Land, sondern sogar für gar nicht so wenige EU-Mitglieder. Trotzdem kann die offensichtlich innenpolitisch motivierte Darstellung des Kosovo in so manchen Medien in Österreich nur als extrem einseitig bezeichnet werden. Der Kosovo ist keine Sahelzone, in der man nicht leben oder überleben kann. Diese Darstellung beleidigt nicht zuletzt die kosovarische Jugend, die in diesem Land eine Perspektive zu finden hofft und am Aufbau mitwirkt, so dornig der Weg zu einem österreichischen Lebensstandard auch immer sein mag.

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