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Ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung

Zeitung
Wiener Zeitung
Berichte Kosovo
Fahnen-Verkäufer müsste man sein, jedenfalls dieser Tage im Kosovo. Ein Jahr nach der Ausrufung der Unabhängigkeit durch die albanische Mehrheit, haben in Prishtina und anderen albanischen Städten des Kosovo fliegende Händler wieder Hochkonjunktur. Eine etwa ein Quadratmeter große Fahne des Kosovo kostet fünf Euro. Sie zeigt auf blauem Grund das gelb gehaltene Territorium des Staates, der etwas großer ist als Tirol und zwei Millionen Einwohner zählen soll, denn eine Volkszählung ist sein Jahren überfällig. Feil geboten werden zu den großen Fahnen auch entsprechende Stangen aus Holz (zwei Euro) sowie kleine Fähnchen für Kinder und Autos angeboten, die einen Euro kosten. Verkauft werden auch die traditionellen albanischen Fahnen, roter Grund mit schwarzem Doppeladler, die vor einem Jahr noch die Unabhängigkeitserklärung dominierten. Doch mittlerweile hat der Kosovo seine eigene Fahne, ein erster Schritt zur Nationsbildung, die jenseits des gesamtalbanischen Bewusstseins zu einer eigenen kosovarischen Identität führen soll.

Zu den Attributen des jüngsten Staates in Europa zählt auch eine neue Verfassung; im Aufbau ist eine kleine Armee, die 2500 Soldaten zählen soll, nur leichte Waffen besitzen wird, und vor allem von den USA, Großbritannien und Deutschland aufgebaut wird.. Im Besitz vieler Albaner ist bereits der eigene Kosovo-Pass; er wird weder von Serbien noch von allen EU-Staaten anerkannt. Denn fünf der 27-EU-Mitglieder haben den Kosovo noch nicht anerkannt – weniger aus Liebe zu Serbien, sondern vor allem weil sie selbst Probleme mit Minderheiten (Spanien, Slowakei, Rumänen, Zypern) haben. Insgesamt haben erst 54 Staaten den Kosovo anerkannt, ein Umstand, der albanische Hoffnungen ziemlich enttäuscht hat.

Die Reisefreiheit beschränkt aber auch die triste wirtschaftliche und soziale Lage, die sich nicht geändert hat. Nach allerdings nicht ganz nachvollziehbaren Angaben der Weltbank muss die Hälfte der Bevölkerung mit 1,50 Euro pro Tag auskommen, wobei in diesen Betrag Zuwendungen durch die vielen Gastarbeiter wohl nicht eingerechnet sind.. Die Preise haben jedenfalls nicht zuletzt wegen der vielen Internationalen westliches Niveau. Die Arbeitslosenrate soll zwischen 45 und 50 Prozent liegen, und dank der hohen Geburtenrate drängen pro Jahr etwa 30.000 junge Albaner auf den Arbeitsmarkt. Der besteht vor allem aus dem Dienstleistungssektor, vom Dolmetscher und den Fahrer bis hin zum Restaurant. Produziert wird kaum etwas, der Großteil der Budgeteinnahmen besteht aus Zöllen, selbst die feilgebotenen Fahnen stammen aus China. Doch noch ist die Zahl der unzufriedenen, radikalen Albaner überschaubar, und die Hoffnung überwiegt.

Selbst wenn diese Hoffnung nicht trügt, wird der Weg zum Wohlstand sehr steinig sein. Denn die Albaner haben ihre Unabhängigkeit vor einem Jahr gegen den Willen Russlands und Serbiens ausgerufen; dieser Umstand belastet jede Entwicklung, weil die Regierung in Prishtina nicht ein Mal das eigene Staatsgebiet wirklich kontrolliert. Während die serbischen Enklaven südlich des Ibar auf die Zusammenarbeit mit den Albanern angewiesen sind, sieht die Lage nördlich der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica anders aus. Dieser kompakt serbisch besiedelte Norden ist strikt gegen die Unabhängigkeit. Unmittelbar nach der Ausrufung steckten Serben Grenzübergänge zu Serbien in Brand; und im März starb bei Krawallen ein Soldat der Friedenstruppe KFOR. Entspannter wurde die Lage erst als im Mai eine EU-freundlichere Regierung in Belgrad an die Macht kam. An der inneren Teilung und am Nein Belgrads zur Unabhängigkeit änderte diese kaum etwas; so werden heute in der Gemeinde Zvecan vor allem nationalistische Abgeordnete aus Belgrad zusammen kommen, um gemeinsam mit den Kosovo-Serben gegen diesen „albanischen Quasi-Staat“ zu demonstrieren. Serbien ist jedenfalls nach wie vor bestrebt, die Staatlichkeit des Kosovo zu untergraben; im Norden und den Enklaven gelten serbisches Recht und der Dinar; die unsichere Lage hemmt wirtschaftliche Reformen und spürbare Fortschritte.

Trotzdem sind ein Jahr nach der Unabhängigkeit auch positive Fakten zu bemerken. So kam es zwischen Albanern und Serben kaum zu nennenswerten Konflikten, und auch die so oft von Belgrad herbeigeredete Massenauswanderung der Kosovo-Serben blieb aus. Schrittweise verläuft auch der Machtwechsel auf internationaler Ebene. Die UNO-Verwaltung UNMIK wurde von einigen Tausend Mitarbeitern nun auf einige Hundert herunter gefahren; nach Absprache mit Russland und Serbien verhält sich die UNMIK „status-neutral“; das zeigt sich auch daran, dass der oberste UNO-Verwalter morgen nicht im Kosovo ist; damit vermeidet er die Entscheidung, ob er an der Festsitzung des kosovarischen Parlaments teilnehmen soll oder nicht. Nach dem Willen der UNO und Serbiens soll sich auch die EU-Polizei- und Justizmission EULEX „status-neutral“ verhalten. Eine entsprechende Sechs-Punkte-Vereinbarung zwischen der UNO und Serbien diente der prowestlichen Regierung in Belgrad als Feigenblatt, um der Stationierung der 1900 Polizisten, Zöllner, Richter und Staatsanwälte zu zustimmen, die im Kosovo den Rechtsstaat weiter aufbauen sollen. Trotzdem verzögerte sich die Stationierung von EULEX um 10 Monate. Im Norden und an der Grenze zu Serbien ist EULEX erst seit Dezember präsent.

Während viele Serben fürchten, dass EULEX die Loslösung von Serbien begünstigt, fürchten so manche Albaner, dass die EU-Mission die de facto Teilung des Kosovo zementieren wird. Wohin die „Reise“ tatsächlich geht, lässt sich derzeit noch nicht wirklich abschätzen. Sicher ist, dass das Zusammenwachsen des Kosovo viel Zeit braucht, weil das Misstrauen zwischen Albanern und Serben so tief sitzt. Wirtschaftlicher Aufschwung und eine auch zeitlich klare EU-Perspektive für den Kosovo (und für Serbien), würden die Stabilisierung des Balkan zweifellos beschleunigen. Zwar ist im albanischen Teil bereits der Euro die Währung; doch von Brüssel ist der Kosovo Lichtjahre entfernt, nicht zuletzt auch deshalb, weil der EU durch die Uneinigkeit ihrer Mitglieder eine konsistente Strategie gegenüber dem Kosovo und dem Balkan fehlt.

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