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Der Kampf gegen die häusliche Gewalt

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Berichte Kosovo
Im Kosovo registrierte das Sozialministerium im Jahre 2012 dreihundert Fälle an häuslicher Gewalt. Die überwiegende Zahl der Opfer waren Frauen und volljährig, doch auch 65 Kinder zählten zu den indirekten Opfern. Diese Zahlen spiegeln die Realität im jüngsten Staat Europas aber nur beschränkt wider. So registrierten die acht Frauenhäuser im Kosovo für denselben Zeitraum sogar mehr als 400 Fälle, und die Dunkelziffer ist sicher noch viel höher, weil viele Fälle von häuslicher Gewalt gar nicht angezeigt werden. Doch was sind die Ursachen für häusliche Gewalt im Kosovo? In welchem Ausmaß hängen sie mit den Problemen zusammen, die alle Reformstaaten des Balkan haben, in welchem Ausmaß gibt es Besonderheiten, die mit der albanischen Gesellschaft zusammenhängen, die noch eine sehr patriarchalisch geprägte Familienstruktur aufweisen? Diesen Fragen ist unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz nachgegangen, der den folgenden Beitrag über den Kampf gegen die häusliche Gewalt im Kosovo gestaltet hat:

In einem der drei Frauenhäuser in Pristina lebt die 22-jährige Drita mit ihrem dreijährigen Sohn. Es ist nicht ihr erster Aufenthalt in einem Frauenhaus; Drita heiratete bereits mit 19 Jahren und seitdem versuchte sie mehrmals, eine neue Basis mit ihrem Mann und dessen Familie zu finden. Ihr Leidensweg begann unmittelbar nach der Hochzeit, erzählt Drita:

"Eine Woche nach unserer Heirat begann er mich zu schlagen; einige Wochen später bin ich zum ersten Mal zu meinem Vater gegangen; als ich dann schwanger wurde, bat ich meinen Vater, dass ich nach Hause zurückkehren kann, weil sie mich andauernd schlecht behandeln und schlagen. Doch mein Vater sagte immer, halte aus, du bist schwanger, und nach der Geburt sagte er, jetzt hast Du einen Sohn und musst ausharren. Doch nach sechs Monaten bin ich dann ins Frauenhaus in Mitrovica geflohen."

Dritas Schicksal entspricht der Mehrheit der Fälle, die Hilfsorganisationen, Polizei und kosovarisches Sozialministerium verzeichnet haben. Ihr Mann ist 30 Jahre alt, und die Alterststruktur der Haupttätergruppe liegt zwischen 30 und 45 Jahren. Viele sind ebenso arbeitslos wie Dritas Mann und können wie Drita selbst nur einen Grundschulabschluss vorweisen. Eine gewisse Ausnahme bildet Drita, weil sie ihren Mann sehr rasch verlassen hat. Dazu sagt die Koordinatorin der Frauenhäuser des Kosovo Naime Sherifi:

„Die meisten Fälle werden erst zu spät angezeigt, wenn ein Kitten der Verhältnisse nicht mehr möglich ist. So hatten wir eine Frau, die 18 Jahre lang Opfer häuslicher Gewalt durch ihren Mann war, ehe sie zu uns kam. In dieser Zeit sagte sie niemandem etwas; trotzdem wussten es die Verwandten des Mannes, doch niemand schritt ein. Erst als sie knapp vor dem Sterben war, rief jemand die Polizei, die dann die Frau zu uns brachte. Sie war äußerst traumatisiert, und wir arbeiteten mit ihr acht Monate. Ihr Mann erhielt eine neunjährige Haftstrafe, und diese Frau ist heute völlig unabhängig, arbeitet und wir haben Kontakt zu ihr und sie ist gut beisammen.“

Versöhnungsversuche blieben auch bei Drita erfolglos; sie reichte die Scheidung ein, und wird das Frauenhaus in einem Monat verlassen, denn der Aufenthalt ist in der Regel auf sechs Monate beschränkt. Eine Rückkehr ins Elternhaus sei wegen der beengten Verhältnisse nicht möglich, sagt die 22-jährige. Auf ein selbständiges Leben ist sie nicht gut vorbereitet. Die Angebote der Frauenhäuser zur Berufsausbildung nutze sie wegen ihres Kindes nicht; trotzdem hofft Drita, Arbeit zu finden:

"Mir ist es gleichgültig, was ich arbeite; wichtig ist mir nur, dass ich irgendeine Arbeit habe, damit ich meinen Sohn durchbringen kann. Gearbeitet habe ich bereits in einem Restaurant als Köchin, und das würde ich gerne machen. Doch als erstes muss ich eine Wohnung finden und mieten. Ich habe 120 Euro, die mir gehören, und etwas Gold, und das will ich verkaufen. Ich will nicht, dass mein Kind in dieser geschlossenen Umgebung weiter aufwächst, möchte aber in Pristina bleiben."

Den Weg in die Selbständigkeit erschwert im Kosovo die tiefe soziale Krise, in der auch dieser Staat des Balkan steckt. Sie beschreibt der Leiter des Sozial- und Gesundheitsamts der Stadt Pristina Valbon Krasniqi:

„45 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind erwerbslos; gleichzeitig ist mehr als ein Drittel jünger als 18 Jahre, und mehr als 60 Prozent der Bevölkerung lebt in großen Familien; all das sind Faktoren die dazu beitragen, dass es körperliche und seelische Gewalt in den Familien gibt."

Das Leben im Kosovo ist auch nicht billig. Eine Zahnärztin verdient 400 Euro netto im Monat. Ein Liter Milch kostet 50 Cent, ein Wecken Brot etwa 35 Cent; das ist zwar billiger als in Österreich; doch die Sozialhilfe für Arbeitslose und ihre Familien sei viel niedriger, betont Ahmet Fejsulah vom Sozialamt in Pristina:

„Das Familienoberhaupt bekommt 45 Euro; jedes weitere erwachsene Familienmitglied bekommt 10 Euro, während für jedes Kind fünf Euro ausbezahlt werden. Zum Beispiel eine Person hat drei Kinder; dann bekommt sie für alle drei 15 Euro, der Ehepartner bekommt 10 und der Haushaltsvorstand 45 Euro, das macht insgesamt 70 Euro Sozialhilfe im Monat.“

Allein zu überleben ist daher für Opfer häuslicher Gewalt sehr schwierig, weil ihnen vielfach der Rückhalt fehlt, den die Großfamilie bietet. Sie sei ein soziales Netzwerk, das dort helfe, wo der Staat noch zu schwach sei, erläutert Valbon Krasniqi:

"Das betrifft die Sorge für ältere Personen und für Kinder. Zwei Drittel der Familien im Kosovo sind Großfamilien; und ein Familienmitglied, das Arbeit hat, teilt dann Einkommen ebenso wie Wohnraum mit anderen Familienmitgliedern. Positiv ist, dass wegen der Schwächen des Gesundheits- und Pensionssystems die Großfamilie eine Art Altersversorgung bildet. So haben wir 110.000 Personen, die Pensionen beziehen; davon hat nur ein Drittel Pensionsbeiträge bezahlt, während zwei Drittel Pensionen beziehen, aber nie gearbeitet haben, und diese Pensionen sind natürlich sehr klein."

Doch die patriarchalisch geprägte albanische Familie hat auch gravierende Schattenseiten. Das betrifft bei Frauen etwa das Recht auf Eigentum. Ein Beispiel nennt Lirije Maksutaj, die im Sozialministerium die Abteilung gegen Gewalt in der Familie leitet:

"Nach dem Gesetz haben Söhne und Töchter das gleiche Erbrecht, wenn es um Wohnung oder Eigentum geht. Doch in der Praxis verzichtet die Frau auf das Erbrecht wegen der Mentalität der kosovarischen Gesellschaft. So sind die Frauen von Beginn an nicht gleichberechtigt. Doch die Zeiten ändern sich, und die Frauen haben begonnen, ihr Erbrecht einzufordern."

Doch noch ist Eigentum vorwiegend männlich, und das trifft Frauen besonders hart, die sich warum auch immer scheiden lassen wollen. Hinzu kommt, dass es eine Wegweisung des Täters bei häuslicher Gewalt nicht gibt, ein Tatbestand, der im Kosovo nicht durchsetzbar wäre, weil die Ehefrau dann in der Regel mit der Familie ihres Mannes zusammenleben müsste. Doch auf weibliche Solidarität kann die Ehefrau auch im Kosovo kaum zählen. Dazu sagt Ibate Mustafa, die im Frauenhaus der Stadt Gnjilane arbeitet:

"In der Mehrheit der Fälle unterstützt die Schwiegermutter ihre Schwiegertochter. Doch wenn der Fall dann schließlich vor Gericht kommt, dann unterstützt die Mutter wieder ihren Sohn und die Ehefrau bleibt übrig."

Beweisnotstand ist eine Sache, Korruption und traditionelles Denken bei der Justiz eine andere. Während die Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern mit der Justiz unzufrieden sind, wird die Arbeit der Polizei positiv beurteilt. Sie hat eigens geschulte Mitarbeiterrinnen, die in Fällen häuslicher Gewalt einschreiten. Geleitet wird diese Polizeidienststelle von Tahiri Haxholi, die ebenfalls auf rechtliche Probleme hinweist:

„Ein Hauptproblem ist, dass wir im Strafgesetzbuch kein besonderes Kapitel haben, das die Gewalt in der Familie betrifft. Auch die Strafbestimmungen sind auf verschiedene Bereiche verteilt. Bei leichter Körperverletzung sind Strafen bis zu drei Jahren vorgesehen; doch bei schwerer Körperverletzung sind die Strafen in der Realität nicht hoch; ich kenne einen Fall, wo ein Gewalttäter in erster Instanz zu acht Jahren verurteilt wurde, doch die zweite Instanz senkte die Strafe auf fünf Jahre.“

Diese Strafrahmen sind auch in Österreich nicht höher, dessen Strafgesetzbuch abgesehen vom Wegweiserecht des Gewaltschutzgesetzes ebenfalls keinen eigenen Straftatbestand für häusliche Gewalt kennt. Doch das größte Problem im Kosovo ist und bleibt für Opfer die triste soziale Lage. Positive Beispiele für den Weg in die Selbständigkeit sind selten, doch es gebe sie, wie Iabte Mustafa betont:

"Wir haben wir es geschafft, acht Frauen in privaten Betrieben zu beschäftigen, wobei USAID pro Monat und Frau 100 Euro zuschließt. Leider haben diese Frauen niedriges Bildungsniveau, und so konnten wir sie nur diesem Niveau entsprechend beschäftigen; doch das ist auf sechs Monate befristet, und was danach ist, das wissen wir nicht."

Noch viel ungewisser ist das Schicksal der 22-jährigen Drita in Pristina. Zwar will ihr das Frauenhaus bei Wohnung- und Job-Suche helfen. Für die alleinerziehende Mutter eines dreijährigen Buben wird der weitere Lebensweg alles andere als leicht aber hoffentlich friedlich sein, damit die Wunden der häuslichen Gewalt auch wirklich vernarben können.

Abmod:

Aus Sicherheitsgründen ist der Name des Opfers geändert worden und auch alle näheren Angaben über ihren Herkunftsort unterblieben daher.

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