× Logo Mobil

Der lange Weg des Kosovo zur Normalität

Radio
Europajournal
Berichte Kosovo
Am 17. Februar vor fünf Jahren erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien. Während die Albaner feierten, trauerten die Serben und Serbien erkennt bis heute die Unabhängigkeit nicht an. Mit enormen Geburtswehen belastet, haben mittlerweile fast 100 Staaten diesen jüngsten Staat in Europa anerkannt, ist der Kosovo fünf Jahre später kein hoffnungsloser Fall mehr. Die Integration der Serben in den Gemeinden südlich des Flusses Ibar macht Fortschritte und auch die Annäherung an die EU kommt schrittweise in Gang, obwohl dieser Prozess zusätzlich noch dadurch belastet wird, dass fünf EU-Mitglieder die Unabhängigkeit bis dato nicht anerkannt haben. Fortschritte gibt es auch beim Verhältnis zu Serbien, obwohl Belgrad zur Ánerkennung nach wie vor nicht bereit ist. Das größte Problem ist die Integration der Serben nördlich des Flusses Ibar, wo praktisch keine Albaner leben. Das noch viel größere Problem ist jedoch die tiefe wirtschaftliche und soziale Krise, die aller Bewohner des Kosovo trifft, berichtet aus Pristina unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Artan Bakija hat ein kleines Tonstudio in Pristina. Der 37-jährige spielt die traditionelle albanische Laute, ein der Gitarre ähnliches Musikinstrument, das acht Seiten hat. Bakija ist ein bekannter Sänger, nicht nur im Kosovo, sondern unter den Albanern des Balkan. Weiter reicht sein Aktionsradius kaum, ist doch der Kosovo ist der einzige Staat im ehemaligen Jugoslawien, für den die EU die Visapflicht nicht aufgehoben hat. Gemeinsam ist der Region jedoch die tiefe Krise, die auch der Sänger spürt. Artan Bakija:

"Im Kosovo wird wegen der Krise bei Hochzeiten viel weniger Live-Musik nachgefragt, sondern man nimmt Discjockeys. Die Menschen haben stark von der Hilfe der Diaspora gelebt, doch heute leben auch die Menschen im Westen in einer Krise und können nicht mehr so viel Geld schicken. Daher sind auch die Preise im Studio gefallen und der Verdienst ist viel geringer."

Artan Bakija ist verheiratet und hat eine vier Jahre alte Tochter, die er täglich in den Kindergarten bringt. Denn Artans Frau Delfina ist Zahnärztin in einer staatlichen Ambulanz und ihr Arbeitstag beginnt bereits um sechs Uhr früh. Das Ehepaar war bereits in Österreich, und zwar in Linz; dort bekam Delfina eine künstliche Hüfte. Im Kosovo ist die medizinische Versorgung mangelhaft, daher erfolgte die Operation im Ausland, obwohl sie privat bezahlt werden musste. Alles andere als billig, sei auch das Leben im Kosovo, betont Delfina Bakija:

„Ich weiß nicht, ob man das mit Österreich und seinem Lebensstandard vergleichen kann; wenn ja; dann ist es absurd, wie teuer Strom im Kosovo ist. Die Stromrechnung für das vergangene Monat machte mein halbes Monatsgehalt aus, so bleiben mir für minimale Ausgaben nur 200 Euro, doch was kann ich damit anfangen.“

Mit Ernüchterung bewertet Delfina daher die Entwicklung des Kosovo:

„Nach fünf Jahren Unabhängigkeit ist es nicht so, wie wir erwarten haben; es gibt viele Probleme, dazu zählt die Wirtschaftslage, es gibt keine Krankenversicherung, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, es bleibt noch sehr viel zu tun.“

Das stimmt, doch bei der Beurteilung darf die extrem schwierige Ausgangslage nicht vergessen werden. Einen Staat Kosovo gab es nie; nach fünf Jahren kann daher ein effizientes Staatswesen, das Gesetze nicht nur beschließt, sondern auch umsetzt, einfach nicht gebildet sein. Beim Aufbau helfen Albaner, die über viel Auslandserfahrung verfügen. Dazu zählt der Minister für Wirtschaftsentwicklung, Besim Beqaj. Der 42-jährige studierte in Kroatien, Spanien und Schweden und lehrte einige Jahre in den USA. Zur Attraktivität des Kosovo als Wirtschaftsstandort sagt Besim Beqaj:

"Es ist wahr, dass der Kosovo viele Jahre lang schlecht stand, was etwa den Ländervergleich im "World doing Business report" betrifft. Doch ich möchte unterstreichen, dass wir im vergangenen Jahr viel getan haben, um das zu verbessern. So haben wir uns in einem Jahr vom 170. Platz um 28 Plätze verbessert. Das sind Reformen, die etwa die Erteilung von Genehmigungen betreffen, und zwar auch auf lokaler Ebene. So sind diese Fristen nun sehr kurz. Unser Ziel ist, binnen drei Jahren unter den zehn Staaten mit dem besten Wirtschafts-Klima zu sein."

Groß sind jedenfalls die Fortschritte bei der Infrastruktur; im Kosovo gibt es nun Autobahnen; das Straßennetz wurde generell ebenso besser wie die Stromversorgung; doch nach wie vor wird viel zu wenig produziert und die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Sichtbare Fortschritte erzielte der Kosovo auch bei der Integration der Serben in den Enklaven südlich des Grenzflusses Ibar. Neue serbisch dominierte Gemeinden wurden gebildet; die Ortsbilder wirken nicht mehr so heruntergekommen, und die Sicherheitslage wurde viel besser. Doch es gibt auch Rückschläge; dazu zählt die Schändung serbischer Gräber Ende Jänner. Diesen Vorfall bewertet die Ärztin und Parlamentsabgeordnete Rada Trajkovic so:

„Das zeigt, dass es ein konserviertes extremes Potential unter den Albanern gibt; das wird aktiviert, wenn es gewisse Kreise brauchen, und dann wieder sehr schnell konserviert, doch das Potential verschwindet nicht. Damit fehlt uns die Sicherheit, die mit der Isolierung der Personen verbunden wäre, die für diese Vorfälle verantwortlich sind.“

Weit gravierender ist jedoch der Umstand, dass Integration ohne Wirtschaftsaufschwung unmöglich ist. Den Ist-Zustand beschreibt der albanische Oppositionspolitiker Albin Kurti:

"Die Integration der Serben in die Institutionen ist notwendig aber nicht genug. Es ist wahr, dass wir im Parlament und in der Regierung viele serbische Abgeordnete und Minister haben, für die Plätze reserviert sind. Doch integriert haben wir nur Vertreter der Elite; damit haben wir nicht das Leben aller Serben verbessert. Doch gesellschaftliche Integration erfolgt durch wirtschaftliche Entwicklung und durch Gleichheit, die im Kosovo nicht existiert. Wenn wir Fabriken haben, wo Albaner und Serben gemeinsam arbeiten, dann ist das eine wahre Integration durch Solidarität und Zusammenarbeit."

Das politisch größte Problem des Kosovo ist die Integration des serbisch dominierten Nordens und die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien. Unter dem Dach der EU haben beide Seiten dabei in den vergangenen Monaten einiges erreicht. Dazu zählt die gemeinsame Verwaltung der Grenzübergänge, eine Vereinbarung, die zunächst vor allem unter den Serben im Nord-Kosovo auf massiven und auch gewaltsamen Widerstand stieß. Die Ministerpräsidenten beider Länder verhandeln nunmehr ohne großes Aufsehen in Brüssel. Der Grund dafür liegt im Wunsch Serbiens und des Kosovo, bis Juni bei der EU-Annäherung klare Fortschritte zu machen. Gewisse Fortschritte gibt es im Kosovo auch beim Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität, der unter Aufsicht der EU-Polizei- und Justizmission EULEX geführt wird; sie steht nicht im Ruf besonderer Effizienz. Erschwert wird ihre Arbeit nicht zuletzt durch Mitgliedsstaaten der EU. Dazu sagt die Berichterstatterin für den Kosovo im EU-Parlament, die Österreicherin Ulrike Lunacek: (30)

"Was ich immer wieder merke ist schon, dass die Nicht-Anerkennung auch durch fünf EU-Mitgliedsstaaten ganz viel hemmt und viel Schwierigkeiten macht, viel Zeit auch nimmt, auch viel Geld kostet, das eigentlich nicht notwendig wäre. Dort wo es hakt, ist, dass zum Beispiel auf Grund der Nicht-Anerkennung eben Kosovo im Bereich von Europol und Interpol nicht voll dabei ist. Ich frage mich immer, warum gerade da die Fünf nicht einen Schritt weiter machen, denn alle wollen Korruption und Organisierte Kriminalität bekämpfen, die ist ja nicht nur im Kosovo ein Problem."

Und wie beurteilt sie die Chance, dass bis zum EU-Gipfel im Juni eine Normalisierung zwischen Serbien und dem Kosovo erreicht werden kann? Ulrike Lunacek: (27)

"Das ist jetzt tatsächlich so wie ein kosmisches Fenster; der Druck ist da von der EU; ich bin zuversichtlich, dass das tatsächlich auch zum Erfolg führt, dass es tatsächlich zu einer Normalisierung zwischen den beiden Staaten kommt, zu einer - was es ja tatsächlich ist - impliziten Anerkennung des Kosovo durch Serbien, und das damit auch sowohl der Beginn der Verhandlungen für ein Stabilisierungsabkommen mit dem Kosovo beginnen kann, als auch für die Beitrittsverhandlungen mit Serbien. Das wäre ein großer Schritt vorwärts, ich hoffe, er gelingt."

Doch kann auch eine Aussöhnung zwischen Serben und Albanern im Kosovo gelingen? Bei dieser Frage sieht die Zahnärztin Delfina Bakija durchaus optimistisch in die Zukunft:

„Das ist sehr gut möglich; die Menschen leben ohne Probleme zusammen. Ich habe zum Beispiel viele Freunde, die Serben oder Mazedonier sind; es existiert kein Hass zwischen Völkern, dass kommt nur von der Politik.“

Facebook Facebook