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Interview mit Richter Richard Winkelhofer in Pristina

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Berichte Kosovo
Jeder Rechtsstaat setzt ein gut funktionierendes Gerichtswesen voraus. Das gilt auch für den Kosovo, der sich vor etwas mehr als zwei Jahren von Serbien losgesagt hat. Daher beinhaltet die EU-Polizei- und Justizmission EULEX auch internationale Richter, die im Kosovo die Tätigkeit lokaler Gerichte überwachen und in speziellen Fällen auch Recht sprechen sollen. Dazu zählen Eigentumsfragen, die der Österreicher Richard Winkelhofer bearbeitet. Winkelhofer arbeitet seit mehr als einem Jahr in Pristina an einem Gericht, das von mit einem Handelsgericht in Österreicher vergleichen könnte. Mit Richard Winkelhofer hat in Pristina unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und den folgenden Bericht über die Mühen beim Aufbau des Rechtsstaates im Kosovo gestaltet:

Seit 10 Jahren arbeitet Richard Winkelhofer als Richter am Landesgericht in Wiener Neustadt. Seit mehr als einem Jahr ist für die EU-Mission EULEX in Pristina tätig. Der Wechsel von Niederösterreich in den Kosovo war jedenfalls gewöhnungsbedürftig, weil das Gerichtswesen im Kosovo noch immer auch an Kinderkrankheiten leidet. Richard Winkelhofer:

„Da geht es um so banale Dinge wie, dass eine Aktenführung so ist, dass Du Dich auskennst, dass die Akten nummeriert sind und in einer gewissen Ordnung sind was es da zum Teil nicht gibt; sprich, dass Du bei einem Akt nicht weißt, ob er vollständig ist, oder dass man die Teile zusammensuchen muss, und dass es irgendwie eine nachvollziehbare Ordnung gibt." Dann: die Qualifikation der Richter ist unter Umständen auch ein Problem; zehn Jahre lang, zwischen 1990 und 2000, hat es im Wesentlichen keine albanischen Richter gegeben, und diese Lücke spürt man heute auch noch. Die ganze Ausbildung war in der Zeit praktisch nicht vorhanden, also die personellen Ressourcen sind zumindest dünn.“

Doch auch dort, wo die Ausstattung in den Gerichten gut ist, haben internationale Geldgeber offensichtlich nicht unwesentliche Kleinigkeiten übersehen, die sich in der Praxis negativ auswirken, wie Winkelhofer erläutert:

"Da gibt es beispielsweise relativ gutes Equipment, dass man Verhandlungen mit flimen kann, Video-Taping, die aber mehr oder minder ungenützt herumstehen, weil man noch nicht den Richtigen gefunden hat, der mit dem Ding umgehen kann."

Ein weiteres großes Problem ist im Kosovo der große Rückstau an Fällen. Das betreffe nicht nur etwa 100.000 anhängige Verfahren, sondern auch die Durchsetzung von Urteilen; 75.000 Fälle warten auf die Vollstreckung, erläutert der Richter. Winkelhofer selbst arbeitet an einem Gericht, das im Jahre 2000 geschaffen wurde, und Eigentumsstreitigkeiten mit Unternehmen zu lösen hat, die im alten, kommunistischen Jugoslawien in gesellschaftlichem Eigentum standen. 700 Fälle sind anhängig, einige seit fast zehn Jahren. Doch auch Winkelhofers Gericht ist nur zur Hälfte besetzt. Tätig sind dort acht internationale und drei lokale, albanische Richter. Die Gerichtssprache ist Englisch; Eingaben der Parteien müssen übersetzt werden. Doch es gilt noch weit größere Probleme zu bewältigen; Richard Winkelhofer:

„Die Problematik eben mit Dokumenten, die in vielen Fällen nicht mehr existieren und oder in Serbien sind. Es geht auch oft um die banale Zustellung von Dokumenten und Ladungen, wenn zum Beispiel ein Kläger - was natürlich auch oft vorkommt - auch aus Serbien kommt oder aus einer serbischen Enklave hier im Kosovo. Da gibt es ganz praktisch enorme Zustellprobleme, weil die Zusammenarbeit zwischen der kosovarischen und der serbischen Post, praktisch nicht funktioniert; was natürlich im Ergebnis auch ein enormes Problem ist für den Rechtsschutz.“

Denn Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an; das berücksichtigt auch die EU-Mission EULEX, die daher statusneutral agiert. Für Winkelhofer und sein Gericht heißt das, dass nur Recht angewendet werden darf, das die UNO-Verwaltung bis zur Erklärung der Unabhängigkeit im Februar 2008 geschaffen hat oder das aus dem alten Jugoslawien stammt. Nunmehr existiert im Kosovo aber auch ein Verfassungsgerichtshof, wird eigenes Recht des Kosovo geschaffen, und hier tauchen zunehmend Probleme auf. Richard Winkelhofer:

"Wir haben jetzt bereits zwei Fälle gehabt, in dem der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer Beschwerde einer Partei bei uns, uns aufgefordert hat, Stellung zu nehmen als Partei; nur - unser Rechtsuniversum sieht einen Rechtszug an den Verfassungsgerichtshof nicht vo. Das kann natürlich noch ein Problem werden, wenn es auf die Spitze kommt, dass eine Art Kompetenzkonflikt entsteht, weil natürlich der Verfassungsgerichtshof auf Grund seiner lokalen Rechtsgrundlage natürlich sich als letzte Instanz versteht und natürlich auch in Anspruch nimmt, über unsere Entscheidungen letztendlich zu entscheiden."

Dieses Beispiel zeigt, dass die internationale Präsenz durchaus ein zweischneidiges Schwert ist, und die Regierung nicht für alle Probleme allein verantwortlich gemacht werden kann, die es im Kosovo zu lösen gilt.

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