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Vor Urteilsverkündung im Fall Haradinaj

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Berichte Kosovo
Im Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wird heute Nachmittag das Urteil gegen den früheren Ministerpräsidenten des Kosovo, Ramush Haradinaj, und weitere zwei Mitangeklagte verkündet. Die drei Albaner waren führende Mitglieder der UCK, der Freischärlerbewegung des Kosovo, die 1998 und 1999 gegen die serbische Herrschaft im Kosovo kämpfte, die schließlich mit dem NATO-Krieg im Jahre 1999 endete. Die Anklage wirft den drei Albaner, Mord, Vertreibung und Folterung vor. Die Angeklagten bestreiten jede Schuld und haben sich dem Tribunal freiwillig gestellt. Die Verkündung des Urteils fällt jedenfalls in eine politisch sensible Zeit. Zwar ist der Kosovo seit Mitte Februar unabhängig, doch die Kosovo-Serben und Serbien akzeptieren diese Unabhängigkeit nicht, und daher ist die Lage im Kosovo noch immer gespannt. Aus der Hauptstadt Prishtina berichtet über das bevorstehende Urteil unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

In den Tageszeitungen des Kosovo war der Fall Ramush Haradinaj zwar nicht der große Aufmacher auf Seite ein, trotzdem berichteten alle Medien ausführlich über das bevorstehende Urteil. „Tag der Entscheidung für Ramush Haradinaj“ oder „Ramush Haradinaj hat heute noch eine Schlacht im Gerichtssaal zu bestehen“ lauteten die Artikel-Überschriften. Das staatliche Fernsehen wird die Urteilsverkündung um 16 Uhr direkt übertragen. An der Meinung der Kosovo-Albaner wird es wohl kaum etwas ändern, denn alle Aussagen bei einer Straßenbefragung in Prishtina lauteten gleich:

„Ramush Haradinaj ist ein Held, der vieles für die Freiheit des Kosovo geleistet hat. Er hat fast alles geopfert, sogar seine Freiheit. Er ist nicht nur für mich, sondern auch für die Mehrheit der Kosovo Bevölkerung ein Held, der keine Verbrechen begangen hat, weil es Krieg war und Krieg bringt Mord, Vernichtung, nichts Gutes mit sich. Wir haben diesen Krieg überlebt und für mich ist Ramush Haradinaj ein Mann, der einen großen Beitrag für unsere Unabhängigkeit geleistet hat.“

Für die Albaner hat Haradinaj einen Befreiungskrieg geführt; erwartet wird ein Freispruch, wie ein Kosovovar sogar auf Deutsch betont:

„Ich denke, dass Haradinaj von Den Haag nicht als Krimineller dargestellt wird; Haradinaj wird freigesprochen, weil er nur ein Held ist.“

Doch es gibt immerhin auch eine etwas distanziertere Stimme:

„Was soll ich sagen, es war Krieg. Keiner von uns hat ein reines Gewissen. Für manche ist er ein Held, für manche ein Kriegsverbrecher. Was weiß ich, er ist ein Held und kein Verbrecher. 99 Prozent der albanischen Bevölkerung hält ihn für einen Held und ich kann nicht dagegen sein. Allgemein betrachtet, er ist ein Held.“

Die Anklage in Den Haag sieht das ganz anders; sie fordert für den 39-jährigen Haradinaj und seine zwei Mitangeklagten 25 Jahre Haft. 31 angebliche Opfer seiner Verbrechen wurden exhumiert; ermordet und gefoltert haben sollen die UCK-Kämpfer nicht nur Serben, sondern auch Albaner, die nicht bereit waren, mit der UCK zusammen zuarbeiten. Etwa 80 Zeugen bot die Anklage auf; darunter 31 geschützte Zeugen; dazu zählten Angehörige mutmaßlicher Opfer, serbische Soldaten und Mitglieder des Geheimdienstes. Beklagt hat die Anklage die Einschüchterung von Zeugen im Kosovo; zwei Kronzeugen verweigerten jedenfalls die Aussage. Die Verteidigung verzichtete auf eigene Zeugen, und zwar mit der Begründung, die Belastungszeugen hätten die Unschuld der Angeklagten selbst offen gelegt. Haradinaj hat sich jedenfalls freiwillig gestellt In einem ORF-Interview unmittelbar vor der Erhebung der Anklage im März 2005 stellte Haradinaj seinen Fall so dar:

"Ich habe keine Verbrechen gegen serbische Bürger begangen, auch gegen niemanden anderen. Ich bis als Kosovoare aufgewachsen und war gezwungen für die Freiheit zu kämpfen und mich selbst zu verteidigen. Ich war in keinen Konflikt mit irgendeinem Bürger des Kosovo, so wie das auch heute nicht der Fall ist. Wir kämpften damals gegen das Milosevic-Regime, aber nicht gegen Kosovo-Serben oder Serbien. Das ist unser Nachbar, daher versuchen wir nun aufzubauen und nicht in der Vergangen zu verharren."

Doch das ist bisher nicht gelungen; und für die Serben ist Haradinaj ein Kriegsverbrecher, ganz egal wie das Urteil heute ausfallen mag. Sein Prozess, der im März des Vorjahres begann, diente in Serbien aber auch als Beweis für die Parteilichkeit des Haager Tribunals. Vier Mal erhielt Haradinaj sogenannten Häfenurlaub, etwa um am Begräbnis eines Bruders teilnehmen zu können, der aus dem Hinterhalt erschossen worden war. Dagegen durfte der mutmaßliche Kriegsverbrecher Vojislav Seselj nicht am Begräbnis seiner Mutter teilnehmen, obwohl er sich ebenfalls freiwillig stellte. Wird Haradinaj freigesprochen, könnte das die antiwestliche Stimmung im serbischen Wahlkampf weiter anheizen, wird er verurteilt, könnte das im Kosovo zumindestens zu Massendemonstrationen führen, denn von einer distanzierten Aufarbeitung der Zeitgeschichte, ist man auch im Kosovo noch weit entfernt.

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