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Kosovo wählt

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m Kosovo wird morgen ein neues Parlament gewählt. Es ist dies nicht nur die erste freie und demokratische Parlamentswahl seit dem Ende des Kosovo-Krieges vor mehr als zwei Jahren sondern in der Geschichte des Kosovo überhaupt. Wahlberechtigt sind mehr als eine Million Bewohner dieser nach Unabhängigkeit strebenden serbischen Provinz. Die internationale Staatengemeinschaft hofft, daß die Parlamentswahl ein großer Schritt zum Aufbau der Demo-kratie im Kosovo sein und die politische Stabilität in der Provinz erhöhen wird. Bis eine Woche vor der Wahl wurde auch darum gerungen, daß die Serben an dieser Wahl teilnehmen. Dieses Ziel wurde schließlich erreicht. Doch ein Zusammenleben zwischen Albanern und Serben gibt es im Kosovo de facto noch immer nicht. Daher bleibt abzuwarten, wie die Abgeordneten dieser beiden Völker aber auch der anderen Minderheiten im neuen Parlament zusammenarbeiten werden. Über die Wahl im Kosovo berichtet aus Prishtina, der Haupstadt der Provinz, unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Rugova, Rugova, rufen dessen Anhänger ihrem politischen Idol zu. Trotz strömenden Regens sind mehrere Tausend in das Sportstadion von Prishtina gekommen, um Ibrahim Rugova, Schriftsteller und Präsident der Partei LDK, zu hören. Rugova verheißt die Unabhängigkeit des Kosovo nach der Parlamentswahl, Demokratie und Freiheit, dankt dem Westen; doch konkrete Aussagen sind bei ihm ebensowenig zu finden wie bei anderen albanischen Politi-kern. Statt dessen gibt es Folklore bei der LDK Abschlußkundgebung in Prishtina und Rugova tanzt mit, möglicherweise auch um Gerüchte zu zerstreuen, um seine Gesundheit stehe es nicht zum Besten.

Für die Parlamentswahl gilt Ibrahim Rugova mit seiner LDK nach Meinungsumfragen bei der alba-nischen Mehrheit als klarer Favorit. Rugova könnte auch Präsident des Kosovo werden, der nach der UNO-Übergangsverfassung vom neuen Parlament gewählt wird. Bei den Lokalwahlen im Kosovo im Oktober vergangenen Jahres erreichte die LDK 58 Prozent der Stimmen. Ob sie jedoch bei dieser Wahl ebenfalls die absolute Mehrheit gewinnen kann, ist fraglich und wird nicht zuletzt von der Wahl-beteiligung der Albaner abhängen. Zweitstärkste albanische Kraft dürfte die PDK des ehemaligen Freischärler-Kommandanten Hacim Thaci bleiben. Sie erreichte bei den Lokalwahlen 27 Prozent und blieb damit unter ihren Erwartungen. Thaci hat einen moderaten Wahlkampf geführt und die ehema-lige Dissidentin Flora Brovina für das Amt des Kosovo-Präsidenten nominiert. Brovina saß unter Slobodan Milosevic in einem serbischen Gefängnis, obwohl sie sich stets für eine Aussöhnung von Albanern und Serben eingesetzt hat. Leicht zulegen doch auf dem dritten Platz bleiben dürfte die AAK, die Partei von Ramus Haradinaj, der ebenfalls ein Freischärler-Kommandant war. Zentrales Wahlkampfthema aller albanischen Parteien war die Unabhängigkeit der Provinz sowie eine Verbes-serung der nach wie vor schwierigen Wirtschaftslage.

Organisiert wurde die Wahl von der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Für die OSZE im Kosovo tätig ist auch Friedhelm Frischenschlager, der frühere Klubobmann des Liberalen Forum. Frischenschlager soll den Aufbau einer demokratischen Parteienlandschaft unterstützen und hat den gesamten Wahlkampf beobachten. Zur Parteienlandschaft des Kosovo im Vergleich zu Europa sagt Frischenschlager:

Also, normal ist hier gar nichts, es sind Parteien, die zunächst einmal ganz streng getrennt nach ihren ethnischen Ursprüngen antreten. Es gibt also nur rein albanische Parteien und eine einzige rein serbische Liste. Es gibt die Minderheiten der Türken, der Bosniaken, der Roma, würden wir sagen. Aber jeweils mit mehreren Parteien.

Um die 120 Sitze des Kosovo-Parlaments bewerben 26 Parteien und Wahlkoalitionen mit insgesamt 1.300 Kandidaten. 20 wahlwerbende Gruppen stellt die albanische Bevölkerungsmehrheit, sechs Parteien die nationalen Minderheiten. Die albanischen Parteien kämpfen um 100 der insgesamt 120 Parlamentssitze; denn 20 Sitze sind für die nationalen Minderheiten reserviert; davon werden je zehn Sitze den übrigen Minderheiten und zehn den Serben zufallen. Doch können die Minderheiten auch darüber hinaus Mandate gewinnen, so daß die 170.000 Serben, die im Kosovo sowie als Vertriebene auch in Serbien und in Montenegro zur Wahl gehen dürfen, mit etwa 25 Mandaten rechnen können. Die serbischen Bewerber kandidieren auf der Einheitsliste Povratak, zu deutsch „Rückkehr“, die von der politischen Führung in Belgrad gebil-det wurde. Zum Antreten entschlossen sich die Serben erst knapp vor der Wahl, nachdem die UNO-Verwaltung des Kosovo mit der Führung eine Vereinbarung über Zusammenarbeit geschlossen und das Recht der Serben etwa auf Rückkehr bekräftigt hatte. Belgrad ist nun an einer möglichst hohen Wahlbeteiligung interessiert, um seinen Einfluß im Kosovo zu stärken und eine endgültige Abspaltung der Provinz zu verhindern. Das heute zu wählende Parlament wird als Übergangsinstitution nicht das Recht haben, über die Zukunft des Kosovo zu entscheiden. Doch wählt das Parlament einen Präsidenten der Provinz, der wiederum einen Ministerpräsidenten ernennt. Die Regierung des Kosovo wird aus neun Ministern bestehen, wobei jeweils ein Minister ein Serbe und ein Angehöriger einer anderen nationalen Minderheit sein muß.

Die Vorkehrungen für die Sicherheit des Wahltages sind massiv. Um Wahlbetrug zu verhindern wird der Zeigefinger eines Wählers mit einem unsichtbaren Spray besprüht, der nur bei ultra-violettem Licht leuchtet und mit einer entsprechenden Lampe kontrolliert. Bei jedem Wähler wird die Identität im Kosovo auch mit einem Foto kontrolliert, das bei der Wählerregistrier-ung aufgenommen wurde. Fast 2.000 internationale Beobachter sind ebenfalls im Einsatz. Die Wahllokale schließen um 19 Uhr, mit ersten relevanten Ergebnissen wird für morgen gerechnet.

Unabhängigkeit und Rückkehr waren die beiden Schlagworte, die den Wahlkampf im Kosovo dominiert haben. Unabhängigkeit aus der Sicht der Albaner, Rückkehr aus der Sicht der ver-triebenen Serben. Dieser Gegensatz zeigt, wie weit der Weg zu einer Befriedung noch ist. Die internationale Staatengemeinschaft wird daher auch nach der Parlamentswahl noch lange im Kosovo bleiben müssen, ehe die Region als stabil bezeichnet werden kann und deren interna-tionaler Status geklärt sein wird.
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