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Kosovo zwischen Mythos und serbischer Realität

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Berichte Kosovo
Am Freitag wird die Kosovo-Trojka ihren Bericht in New York der UNO übergeben. Auch dieser Bericht wird feststellen, dass in der Frage des internationalen Status der Provinz zwischen Albanern und Serbien kein Kompromiss zu erzielen war. Zu ende gegangen sein dürfte mit der Trojka aber auch der letzte Versuch, den Status auf dem Verhandlungswege zu regeln. Denn auch die internationale Gemeinschaft ist in dieser Frage gespalten, daher wird wohl auch die UNO keine Lösung finden. Immer wahrscheinlicher wird, dass die Kosovo-Albaner, die 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, in den kommenden Monaten die Unabhängigkeit ausrufen, die dann von USA und EU anerkannt wird. Formell endet damit möglicherweise die endgültige Auflösung des alten Jugoslawien. Nicht zu ende ist damit jedoch der Kosovo-Mythos, noch weitgehend am Anfang steht die Aussöhnung zwischen Serben und Albanern. In Belgrad ist unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den Ursprüngen des Kosovo-Mythos ebenso nachgegangen wie den mutmaßlichen Folgen, die die Abspaltung dieser Provinz für Serbien, die Kosovo-Serben und den Balkan haben könnte.

Das Jahr 1989 stand in Serbien im Zeichen des 600. Jahrestages der Schlacht am Amselfeld im Kosovo. Ein Balkanheer unter Zar Lazar verlor den Kampf; das mittelalterliche Reich der Serben ging unter, Lazar fiel oder wurde gefangen und getötet; sein osmanischer Gegenspieler Sultan Murad starb durch die Hand eines Attentäters. Beide Ereignisse wurden 1989 in Serbien auch in einem martialischen Film verewigt. Zu Beginn trifft ein Wanderer auf einen alten Mann am Wegesrand:

„Ist das der Weg Richtung Kosovo“.

“Ja, doch auch die andere Richtung führt dort hin, oder auch die Richtung, aus der Du gekommen bist; was wunderst Du dich? Jede Richtung wird dich dorthin führen. Heute gibt es in Serbien keinen anderen Weg als in den Kosovo oder aus dem Kosovo“

Alle Wege führen somit in das serbische Jerusalem, das nicht zuletzt unter tatkräftiger Mithilfe der orthodoxen Kirchen zum Mythos wurde. Seine religiöse Symbolkraft erläutert der Schriftsteller und ehemalige Außenminister Vuk Draskovic:

„Die Schlacht im Kosovo wurde als eine Art Golgatha erlebt; die dann entstehenden Heldenlieder erhoben die Niederlage und dieses Golgatha zur Grundlage einer künftigen Auferstehung. Der Mythos und die Heldenlieder sind nichts anderes als ein in Reimen verfasstes Neues Testament. Das ging in die Seelen und Herzen der Menschen ein. Im Neuen Testament haben sie Christus, der leidet, im Kosovo ist das der serbische Zar. Christus hat seine 12 Apostel, der Zar hat seine Mitstreiter, es sind insgesamt ebenfalls 13 Personen. Das Dilemma des Kaisers ist im Endeffekt auch das von Christus; ob man die weltliche Macht akzeptiert und den Türken Steuern zahlt und Vasall wird; oder ob man den gewaltsamen Tod und damit das himmlische Reich wählt. Nach diesem Mythos, haben sich Zar Lazar und die serbische Armee für das christliche Opfer und das himmlische Reich entschieden.“

Das himmlische Serbien versprach Slobodan Milosevic auch 1989 in seiner Rede am Amselfeld. Die NATO-Bomben beendeten zehn Jahre später die Herrschaft Belgrad über den Kosovo; die Albaner sahen das als Schritt zur Unabhängigkeit, ein Streben, das weit in die Zeit vor Milosevic zurückreicht. Doch die NATO und der Westen blieben inkonsequent:

„Die NATO hat diesen Sieg im Kosovo-Krieg nicht anerkannt, sondern eine Vereinbarung unterschrieben. Milosevic feierte einen Sieg; 9.000 Personen in den Streitkräften wurden ausgezeichnet für die erfolgreiche Verteidigung des Kosovo; die gesamte öffentliche Meinung verstand, dass wir den Kosovo verteidigt haben; wir bekamen eine internationale Bescheinigung dadurch, dass die UNO-Resolution 1244 gewisse Zuständigkeiten über den Kosovo anerkannte. Und jetzt verlangt man von der neuen politischen Elite, dass sie etwas hergibt, das sie nicht verloren hat. Einen Verlust kann man tragen, doch etwas her zu schenken kann sich keine politische Elite erlauben, und daher auch diese nicht.“

… analysiert der Meinungsforscher Srdjan Bogosavlejvic. Doch für das strikte Nein und für die enorme ethnische Distanz zwischen Albanern und Serben nennt Bogosavljevic noch andere Gründe:

„Die Kosovo-Serben kamen nach Serbien mit schlechten Beziehungen zu den Albanern; ihnen hatten sie ihr Eigentum zu abnormal hohen Preisen verkauft, vor allem zwischen den 60iger und 80iger Jahren. Es kam die ganze Familie, sie blieb ländlich verhaftet oder suburban, diese Serben sind weniger gebildet und kein Teil der serbischen Elite wie das oft bei Montenegrinern der Fall ist. Im Gegensatz zu den Montenegrinern ließen die Serben keine Verwandten im Kosovo zurück. Sondern dort blieben Menschen, die eine andere Sprache sprechen; das heißt, die Auswanderung bedeutete den endgültigen Bruch mit ihrer Kindheit, mit ihrer Herkunft. So haben wir in Serbien einige hunderttausend Menschen mit einer sehr gefühlsbetonten Haltung, und wir haben bereits traditionell eine politische Elite in Serbien, die mit diesen Gefühlen manipuliert.“

So zeigen Umfragen, dass in Serbien etwa nur 30 Prozent mit der Unabhängigkeit des Kosovo rechnen. Noch geringer ist diese realistische Einschätzung unter den Kosovo-Serben:

„Fast ein Drittel der Kosovo-Serben glaubt sogar, dass sie ein integraler Bestandteil Serbiens sein werden; das heißt, bei der Mehrheit gibt es überhaupt keine Vorstellung davon, dass der Kosovo unabhängig werden könnte. Für diesen Fall jedoch, sagen mehr als 40 Prozent, dass sie den Kosovo unter allen Umständen verlassen werden; hinzu kommen noch mehr als 20 Prozent, die sagen, dass sie gehen werden, wenn sie minimale Lebensbedingungen sicherstellen können.“

… erläutert die Meinungsforscherin Svetlana Logar. Im kompakt besiedelt Nordteil, besteht dagegen auch eine gewisse Bereitschaft zum aktiven Widerstand. Sollten die Serben dort den Anschluss an Serbien erklären und Flüchtlinge nach Serbien strömen, stünde die Regierung in Belgrad vor einer enormen Herausforderung. Zwar wird Krieg als Mittel ausgeschlossen, doch Serbien könnte die Straßen zum Kosovo blockieren, Stromlieferungen aussetzen und andere Sanktionen ergreifen. Zweifellos muss Belgrad reagieren; fraglich ist ob mit Augemaß, denn Stimmen der Vernunft, wie die der Intellektuellen Sonja Licht, könnten in der aufgeheizten Atmosphäre untergehen:

„Serbien und Kosovo werden im geographischen Sinne immer Nachbarn sein. Daher werden wir miteinander sprechen müssen; je früher wir das verstehen desto besser. Offensichtlich braucht das noch seine Zeit, doch in der Zukunft wird es sicherlich viel mehr Gespräche geben.“

Doch diese Zukunft ist fern; greifbar ist dagegen das Wachsen der antiwestlichen Stimmung Im Fall der Unabhängigkeit könnte Serbien jedenfalls die diplomatischen Beziehungen mit der EU aufs Eis legen, und sich verstärkt Russland zuwenden. Auf die Karte Putin, setzt vor allem die ultranationalistische Radikale Partei:

„Die Serbische Radikale Partei, die am stärksten für die Dramatisierung der Lage im Kosovo verantwortlich ist, nützt heute den Kosovo als Waffe, um antieuropäische und antiamerikanische Gefühle in Serbien zu entzünden; um die europäischen Staaten als unsere Feinde darzustellen, die uns unser Territorium wegnehmen wollen. Die Radikalen wollen eine Arte neue Berliner Mauer errichten zwischen Serbien und Europa; ich fürchte, dass das möglich ist.“

… sagt der frühere Außenminister Vuk Draskovic. Diese Möglichkeit sieht auch Sonja Licht; anders als zu Beginn Vuk Draskovic interpretiert sie jedoch den Kosovo-Mythos:

„Meiner Interpretation nach wollte Serbien im 19. Jahrhundert als es seinen Staat schuf mit dem Kosovo-Mythos zwei Dinge zeigen. Erstens, dass Serbien ein Staat ist, der seine Wurzeln in tiefer Vergangenheit hat, also zu einer Zeit, als die ältesten Staaten Europas entstanden. Und zweitens dass Serbien zu Europa gehört.

… Denn jene, die den serbischen Staat im 19. Jahrhundert schufen, schufen ihn mit der Überzeugung, dass Serbien ein europäischer Staat sein soll.“

Um Serbien auf Europakurs zu halten, muss die EU im Falle einer Unabhängigkeitserklärung des Kosovo rasch reagieren und möglichst geschlossen diesen neuen Staat anerkennen. Dann besteht die Chance, dass in Serbien jene besonnen Kräfte die Oberhand behalten, die gegen eine Selbstisolierung des Landes und außenpolitische Abenteuer sind, und Serbien trotz des Kosovo-Traumas auf EU-Kurs halten wollen.

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