Noch immer keine Regierung in Bosnien
Mit dem Friedensvertrag von Dayton endete im Herbst 1995 zwar der Krieg in Bosnien und Herzegowina; gleichzeitig wurde aber auch ein sehr kompliziertes Staatswesen geschaffen, das nur schwer regierbar ist. Der Staat der Bosniaken, Serben und Kroaten besteht aus einem drei Personen zählenden Staatspräsidium, einem Parlament und einer Regierung des Gesamtstaates sowie zwei Teilstaaten. Der serbische Teilstaat ist zentralistisch, der Teilstaat der Bosniaken und Kroaten dezentral organisiert und gliedert sich in zehn Kantone. Stimmzettel sind daher mehr als einen halben Meter lang. Gewählt wurde Anfang Oktober des Vorjahres, doch bis heute sind noch nicht alle Institutionen gebildet. Dazu zählen Regierung des Gesamtstaates und sein Parlament, in dem Ausschüsse noch nicht gebildet wurden. Warum dem so ist, und welche Folgen das für die Bevölkerung hat, darüber berichtet aus Sarajewo unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:
Lange dauernde Regierungsbildungen sind nicht auf den Balkan beschränkt. Im ethnisch und politisch fragmentierten Staat Bosnien und Herzegowina, haben die Wahlen klare Resultate gebracht, sodass die Parteien der drei Volksgruppen bei gutem politischen Willen schon längst alle Institutionen hätten bilden können. Konkret spießt es sich auch nicht an schwierigen Sachthemen, sondern an Flaggenfragen, wie in Sarajewo die Politologin Ivana Maric betont:
"Es geht um Themen, bei denen es keinen Kompromiss geben kann. Auf gesamtstaatlicher Ebene ist das die weitere Annäherung an die NATO, sprich ob ein Jahresplan für die Zusammenarbeit vereinbart wird oder nicht. Eine Partei, die bosniakische SDA sagt ja, die Regierungspartei im serbischen Teilstaat sagt nein, und da ist ein Kompromiss nicht möglich, weil eine Partei verlieren muss. Im bosnisch- kroatischen Teilstaat geht es um das Wahlrecht, über dessen Reform es keine Einigung gibt, doch davon macht die kroatische HDZ die Regierungsbildung abhängig."
Abhängig von Beschlüssen des gesamtstaatlichen Parlaments ist zwar die Gewährung beträchtlicher internationaler Mittel, doch die Bevölkerung trägt den Zustand mit Gleichmut. Das tägliche Leben verläuft besser als es die politische Lage vermuten ließe. Dazu sagt der Politologe Adnan Huskic:
"Das Schlimmste ist, dass es gar keinen Druck von unten, von den Bürgern gibt, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die zwei Institutionen, die noch nicht gebildet sind, gesamtstaatliche Institutionen sind; sie haben nur sehr beschränkte Kompetenzen und eine koordinierende Funktion, und haben keinen direkten Einfluss auf das Leben der Bürger, und das Leben verläuft normal."
Das gilt auch für die Stadt Mostar, in der seit zehn Jahren kein Bürgermeister gewählt wurde, weil sich Bosniaken und Kroaten auf kein Wahlrecht einigen können. Die EU fordert nun die Umsetzung höchstrichterlicher Urteile zum Wahlrecht binnen sechs Monaten, doch der Einfluss Brüssels sei begrenzt, betont Adnan Huskic:
"Einem Diplomaten aus der EU fehlen klarer Auftrag und Vision aus Brüssel. Er hat nur sehr beschränkte Möglichkeiten, etwas zu erreichen; glauben Sie mir, nach den vielen Jahren, in denen unsere Politiker in direktem Kontakt mit internationalen Vertretern stehen, haben sie sehr gut gelernt, alles für innenpolitische Zwecke zu instrumentalisieren. Dieser Hauptzweck ist, an der Macht zu bleiben, die dich in der Realität immun vor Strafverfolgung macht. Denn es ist kein Zufall, dass all diese Politiker sehr reich sind, denn das hier ist eine zu tiefst korrumpierte politische Elite."
Und wie steht es um das OHR, um den hohen internationalen Repräsentanten, eine Funktion, die seit zehn Jahren der Österreicher Valentin Inzko bekleidet? Dazu sagt die Politologin Ivana Maric:
"Sinnvoll ist das OHR nur mehr für Herrn Inzko. Für das Land hat das OHR schon lange Sinn und Nutzen verloren. Herr Inzko hat keine internationale Unterstützung und darf nichts machen, weil etwa Russland alles blockiert, was gegen die serbische Seite gerichtet sein könnte. Inzko ist Bewahrer seiner formell bestehenden Sondervollmachten, die er nicht anwenden kann, doch wenn Inzko abtritt würde Russland wohl keinem Nachfolger mehr zustimmen. Doch USA und EU sollten stark genug sein, auch ohne diese Vollmachten ihre Ziele durchzusetzen."
Doch eine konsistente EU-Politik gegenüber dem Balkan fehlt, und damit haben auch die Politiker in Bosnien Leben gelernt.