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Die Wahlen in Bosnien und Dodik vor dem Fall?

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„Abstimmung mit den Füßen“ nannte man im Volksmund die massive Auswanderungswelle, die vor fast 30 Jahren das kommunistische Ostdeutschland erschütterte und dann zum Fall der Berliner Mauer führte. Eine derartige Abstimmung mit den Füßen findet auch am Balkan, etwa in Bosnien und Herzegowina statt, wo am Sonntag allgemeine Wahlen stattfinden. Gewählt werden das drei Mitglieder zählende Präsidium des Gesamtstaates, die zwei Kammern des Gesamtstaates, die beiden Teilstaaten und ihre Parlamente sowie in der bosniakisch-kroatischen Föderation die Parlamente der zehn Kantone und im serbischen Teilstaat auch noch dessen Präsident. Der etwa vier Millionen Einwohner zählende Staat der Bosniaken, Serben und Kroaten ist nicht nur ein enorm kompliziertes Staatswesen, sondern die Politiker der drei Völker finden auch fast 25 Jahre nach Kriegsende noch immer keinen gemeinsamen Nenner. Die Annäherung an die EU verläuft im Schneckentempo, die Zukunft ist ungewiss und immer mehr Bewohner wandern aus, weil in der EU der Facharbeitermangel groß ist, und Arbeitsgenehmigungen in der Slowakei oder Kroatien leicht zu bekommen sind. Trotz all dieser Probleme verlief der Wahlkampf in Bosnien und Herzegowina dieses Mal ohne massive Konflikte zwischen den Parteien der drei Volksgruppen; die politischen Kämpfe fanden eher zwischen den Parteien der drei Volksgruppen statt, wobei die Wahl am Sonntag in der Republika Srpska besonders spannend wird; denn nach 12 Jahren könnte Milorad Dodik nun zum ersten Mal tatsächlich die Macht verlieren; Dodik hat wiederholt mit der Abspaltung des serbischen Teilstaates gedroht, und gilt vor allem EU und USA als Feindbild. Aus Banja Luka berichtet über die Lage im serbischen Teilstaat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

In Banja Luka und die Republika Srpska dominieren die Plakate mit dem Bild von Milorad Dodik, dem Präsidenten des serbischen Teilstaates, und seiner Sozialdemokratischen Partei. Plakate der Opposition muss man im Zentrum von Banja Luka fast mit der Lupe suchen, ein Missverhältnis, das den Umfragen nicht entspricht. Dessen ist sich auch Dodik bewusst, der zunächst die Opposition als Gegner des serbischen Teilstaates dämonisierte; in der Endphase des Wahlkampfs mäßigte Milorad Dodik seine Rhetorik, möglicherweise unter dem Einfluss seines international renommierten Wahlkampfstrategen und äußerte sich zum kommenden Sonntag so:    

„Wir wollen, dass diese Wahlen friedlich und anständig ablaufen; wir rufen alle zu einem fairen politischen Wettkampf auf. In der ganzen Welt kämpfen die Parteien bei Wahlen um die Macht; wir haben sie am Sonntag und da werden die Kräfte gemessen. Wir sind von unserem Sieg überzeugt.“

Dodik kandidiert dieses Mal wieder für den serbischen Sitz im bosnischen Staatspräsidium; auf den Wahlplakaten ist er gemeinsam mit Zeljka Cvijanovic abgebildet; sie ist seit fünf Jahren Regierungschefin, kandidiert aber nun für das Amt des Präsidenten dieses Teilstaates. Im Interview zieht Zeljka Cvijanovic folgende Bilanz ihrer Amtszeit:

"Wir haben neue Krankenhäuser gebaut, die die modernsten in der Region sind. Hinzu kommen viele neue Kindergärten, Schulen und Studentenheime sowie Straßen. Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik haben wir Akzente gesetzt. Dazu zählt, dass wir die Pensionen um 20 Prozent erhöht haben. Auch alle Löhne haben wir erhöht; in der Privatwirtschaft haben wir mit den Arbeitgebern vereinbart, dass wir sie steuerlich entlasten, doch um diese Differenz müssen die Löhne erhöht werden."

Ob diese Verbesserungen ausreichend Wähler mobilisieren können, wird sich zeigen. Unter den Serben ist jedenfalls eine Stimmung verbreitet, die ein älterer Mann so formuliert:

„Wäre ich jung, würde ich keine 24 Stunden mehr hier sein. Was bietet man mir? Ich war Soldat, doch ich habe nichts dafür bekommen. Alles haben meine Frau und ich mit unseren eigenen Händen erarbeitet. Die Kinder sind arbeitslos, Arbeit gibt es nur, wenn Du den Machthabern passt. Und jetzt werden auch noch Stimmen gekauft; was hätte ich von 50 Euro, denn was wird morgen sein.“

Genaue Angaben zur Auswanderung fehlen; Schätzungen gehen von 60.000 Personen pro Jahr aus, davon sollen etwa 40 Prozent Serben sein. Für den Bevölkerungsrückgang ist auch die negative Geburtenrate verantwortlich; hinzu kommt die Landflucht, die Dörfer sterben und die Dorschulen schließen lässt. Motive für die Auswanderung gibt es mehrere; eines liegt in der Rechtsunsicherheit. Schlagendes Beispiel dafür ist der Mord an dem 21 jährigen Studenten Dragan Dragicevic im März in Banja Luka, den Polizei und Justiz möglicherweise vertuschen wollten. Die Massenproteste dagegen dauern an. Das Mordopfer bezeichnete Milorad Dodik als Drogensüchtigen, eine Herabwürdigung, die ihm politisch sehr geschadet hat. Als weiteres Motiv spielen höhere Löhne und der enorme Facharbeitermangel in der EU eine Rolle. Mehr als 2500 Facharbeiter hat die Agentur FTA in Banja Luka binnen 18 Monaten legal ins Ausland vermittelt; die Anreize dafür erläutert Ljiljana Jerosimovic von der Agentur FTA:

"Deutschland bietet den höchsten Stundenlohn, das sind etwa zehn Euro netto. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitnehmer über mehr als nur Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt und einen EU-Pass hat, wie etwa die meisten Kroaten hier. In der Slowakei und Kroatien liegt der gebotene Stundenlohn bei drei bis sechs Euro. Ein EU-Pass ist nicht nötig. In allen drei Ländern trägt der Arbeitgeber die Reise- und Wohnungskosten. "

Ob diese Abstimmung mit den Füßen die Wahlen entscheidend beeinflusst, ist nicht klar, weil natürlich auch kritisches Potential abwandert. Dodiks Chancen stehen jedenfalls so schlecht wie noch nie; daher bemühte er sich, nicht nur den serbischen Präsidenten Alexander Vucic, sondern auch Russland als Wahlkampfhelfer darzustellen; Vladmir Putin besuchte er beim Formel-I-Rennen in Sotschi, Außenminister Sergej Lawrow wiederum war in Sarajewo und Banja Luka, äußert sich aber sehr diplomatisch zu den Wahlen. Die Rolle Russlands werde oft überbewertet, betont in Banja Luka der Wirtschaftsexperte Zoran Pavlovic:  

"In Bosnien und Herzegowina gibt es praktisch keine Firmen aus Russland. Die einzige große Investition war die Übernahme der Raffinerie im serbischen Teilstaat, die derart viele Verluste gemacht hat, dass man hier von keinem politischen Einfluss, sondern nur von Kriminalität sprechen kann. Wenn man jedes Jahr in der einzigen Raffinerie im Umkreis von 300 Kilometern Verluste macht, dann stimmt etwas nicht. Die Politik hier hat versucht, Russland als großen Bruder zu vermarkten und auch Milorad Dodiks Besuch in Sotschi sollte seinem Wahlkampf dienen. Real haben wir abgesehen von der Ausfuhr von Äpfeln und Lebensmitteln keine Geschäftsbeziehungen mit Russland, das sogar einmal Sanktionen gegen uns verhängt hat, weil der Verdacht bestand, dass unsere exportierten Äpfel in Wahrheit aus Polen kamen."

Die Opposition im serbischen Teilstaat wittert jedenfalls Morgenluft. Sie tritt so geeint auf wie nie zu vor und wird von einem Tandem geführt. Der 42-jährige Vukota Govedarica kandidiert für das Amt des Präsidenten des serbischen Teilstaates, während der 60-jährige Mladen Ivanic als serbisches Mitglied im bosnischen Staatspräsidium wiedergewählt werden will. Ivanic ist hält auch einen Machtwechsel im Parlament in Banja Luka für möglich. Gelinge die Wende, seien drei Reformen besonders wichtig, sagt Mladen Ivanic:  

 

"Erstens die Reform der Justiz; wir müssen endlich Staatsanwälte bekommen, die bereit sind, ihre Arbeit zu machen und bereit sind, große Fälle der Korruption aufzugreifen. Zweitens brauchen wir eine Steuerreform. Wir müssen die enorme steuerliche Belastung auf die Netto-Löhne verringern, um die Arbeit billiger zu machen und Investoren anziehen zu können. Außerdem müssen wir die Netto-Löhne etwas erhöhen. Drittens müssen wir auf die Auswanderung reagieren; wir müssen verhindern, dass in der Republika Srpska nur leere Räume übrig bleiben."

Mladen Ivanic ist ein erfahrener aber auch gemäßigter Politiker. Bosnien und Herzegowina brauchte Politiker aus allen drei Volksgruppen, die bereit zu Kompromissen seien; die Zukunft von Bosnien und Herzegowina sieht Ivanic in praktischer Zusammenarbeit ohne große Entwürfe für eine Staatsreform; Mladen Ivanic:

"Das Bestehende ist der einzige reale Kompromiss; wenn wir die Frage nach einer Neuordnung öffnen, dann wird man in Sarajewo einen Staat ohne Teilstaaten fordern; in Banja Luka wird man die Unabhängigkeit der Republika Srpska verlangen, und in Mostar werden die Kroaten einen dritten Teilstaat fordern. Es gibt keine Chance auf eine Einigung in dieser Frage; noch geringer ist die Chance, dass sich Russland, die USA, die EU, die Türkei, Kroatien und Serbien über eine andere Struktur von Bosnien und Herzegowina einigen. Die dritte Option wäre Krieg, den keiner will. Somit müssen wir bei dem bleiben, was wir haben, keine Zeit verlieren, und indirekten Druck auf die lokalen Politiker ausüben, eine Einigung zu finden. Daher ist es wichtig, dass so rasch wie möglich Beitrittsverhandlungen mit der EU beginnen, die zweifellos lange dauern werden, doch dann werden wir uns mit der Zukunft und nicht der Vergangenheit befassen.“  

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