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Die Balkan-Route und die Polizeizusammenarbeit

Zeitung
Kronen Zeitung
Berichte Bosnien

Das Städtchen Velika Kladusa und die Stadt Bihac sind nach wie vor Brennpunkte auf der Balkanroute, weil die Gemeinden im Grenzgebiet zu Kroatien liegen, und die Grenze zu Slowenien nur etwa 100 Kilometer entfernt ist. Am Stadtrand von Velika Kladusa stehen behelfsmäßige Zelte auf nackter Erde, die von etwa 250 Personen „bewohnt“ werden. Verpflegt werden sie vom Roten Kreuz; finanziert wird die Versorgung von der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Die IMO hat alle Mittel, ein winterfestes Aufnahmelager zu errichtet, doch dazu fehlen bisher Genehmigung und Örtlichkeit. Die IOM hat aber ein Hotel angemietet, in dem Familien untergebracht sind, die dort bessere Bedingungen vorfinden als am Stadtrand von Velika Kladusa. Mit Hilfe von Schleppern und Navigationssystemen am Mobiltelefon wird der Weg weiter Richtung Italien und in andere EU-Staaten versucht.

Generell ist die Belastung der Staaten des ehemaligen Jugoslawien durch die neue Balkan-Route von Griechenland über Albanien, Montenegro nach Bosnien und Herzegowina weiterhin beträchtlich. So registrierte allein Bosnien in den ersten sieben Monaten dieses Jahres etwa 12.000 Migranten, das ist zehn Mal mehr als im gesamten Jahr davor. Die mit Abstand größte Gruppe bilden Bürger aus Pakistan. Diesen Umstand bestätigen auch die Aufgriffszahlen durch Slowenien. Nach Angaben der Grenzpolizei in Laibach wurden bis Mitte September 6000 illegale Übertritte vereitelte; im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 1.200. Seit Mai verzeichnet Slowenien etwa 1000 Aufgriffe pro Monat; diese Migranten kommen aus Kroatien, obwohl etwa 6.000 Polizisten im Einsatz sind, um die mehr als 1.200 Kilometer lange EU-Außengrenze zu schützen. Etwa ein Drittel der Aufgriffe in Slowenien entfällt auf Pakistani; aufgegriffen wurden aber auch 400 Iraner, eine Folge der Visa-Liberalisierung, die Serbien mit dem Iran im Vorjahr vereinbart hat. Aus dem Iran fliegt man nach Belgrad, von dort geht es am Landweg weiter nach Norden.

Generell ist Visa-Liberalisierung ein Anziehungspunkt für illegale Migration – nicht nur in Serbien, sondern auch in Bosnien und Herzegowina (Türkei) und in anderen Staaten. Am Flughafen in Belgrad sind bereits Polizisten der EU-Grenzschutzagentur „Frontex“ im Einsatz; auch in Tirana ist „Frontex“ am Flughafen präsent, dort aber auch deshalb um illegale Migration aus Albanien in die EU zu erschweren. „Frontex“ und Albanien werden Anfang Oktober ein Status-Abkommen unterzeichnen; dadurch wird „Frontex“ in diesem Balkan-Staat Exekutivbefugnisse erhalten und nicht mehr nur beobachtend und beratend tätig sein. Derartige Abkommen wurden auch mit Mazedonien und Serbien paraphiert. Derzeit hat „Frontex“ 124 Beamte am Westbalkan in sogenannten Koordinationspunkten im Einsatz.

Der Balkan ist auch ein Schwerpunkt der österreichischen Polizeikooperation. 6o Beamte sind an diversen Grenzen mit Wärmebildkameras im Einsatz. Ein Unterstützungsteam war im Sommer an der albanisch-griechischen Grenze präsent; dort wurde ein Spezialfahrzeug eingesetzt, das Handydaten auslesen kann, um die Nationalität der Migranten, Routen aber auch Geldflüsse an Schlepper feststellen zu können. Zur Bezahlung ihrer Dienste nutzen Schlepperorganisationen nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sowohl virtuelle Währungen als auch das sogenannte „HAWALA-System. Dabei wird Geld bei einer Person hinterlegt und ein Code vereinbart. Erreicht eine geschleppte Person einen bestimmten Teil der Route, oder erfüllt ein Schlepper einen Teil seiner Aufgabe (Dokumentenfälschung, Transport), wird der Code übermittelt und das Geld freigegeben. Derartige Codes werden über Handys übermittelt, die ebenfalls ausgelesen werden können. Eingesetzt werden von Schleppern auch einfache Apps, die den Schiffsverkehr etwa an der nordafrikanischen Küste anzeigen; in diesem Sinne sind auch Rettungsschiffe von Hilfsorganisationen „Teil des Geschäftsmodells von Schleppern“, weil „Seelenverkäufer“ gezielt dann in Marsch gesetzt werden, wenn ein derartiges Schiff in der Nähe ist.

In Wien ist auch bereits die „Taskforce“ der Polizei im Einsatz, in der Ermittler aus dem gesamten Westbalkan Tisch an Tisch zusammenarbeiten, um illegale Migration zu bekämpfen. Zu diesem Team zählen Spezialisten, die afrikanische Sprachen sowie Urdu, Farsi und Pashtu beherrschen, um abgehörte Telefongespräche auswerten zu können. Ziel ist es, alle Staaten des Westbalkan bis 2022 in das sogenannte „PRÜM“-System der EU aufzunehmen, das eine grenzüberschreitende Abfrage von Fingerabdrücken ermöglicht, um die Identität von Personen festzustellen. Noch weit besser ausgestattet werden müssen die Grenzpolizeibehörden vieler Balkan-Staaten.

Was die Migrationsrouten betrifft, besteht kein einheitliches Lagebild. So verzeichnet die zentrale mediterrane Route von Libyen nach Italien massive Rückgänge, weil Schlepper natürlich sofort auf politische Änderungen in den Zielländern reagieren. Anderseits verzeichnen Migrationsströme über die Seegrenze von der Türkei nach Griechenland wieder Zuwächse; besonders stark sind sie an der Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland, für die die EU-Türkei-Rücknahmevereinbarung nicht gilt. Obwohl die Türkei das Abkommen einhält, ist die Zahl der Rücknahmen weiterhin gering. In Österreich liegen die Zahlen derzeit zwischen den Jahren 2013 und 2014. Klar ist, dass trotz aller Maßnahmen zum Grenzschutz der Migrationsdruck aus Afrika noch sehr lange anhalten wird. Im Jahre 1950 zählte Sub-Sahara-Afrika 180 Millionen Einwohner, ein Drittel der Bevölkerung Europas. Bis 2050 sollen es nach demographischen Schätzungen 2,2 Milliarden sein, mehr als drei Mal so viel wie in Europa. Nach Berechnungen der UNO werden es im Jahre 2011 sogar vier Milliarden Einwohner sein. Die Stabilisierung der Lage in Afrika muss somit das vordringende Ziel der EU und ihrer Mitglieder sein; die gescheiterte Entwicklungshilfe der 70iger Jahre des vorigen Jahrhunderts sollte dabei als eindringliche Mahnung dienen.


 
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