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Karadzic und sein Urteil und Srebrenbica

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In Den Haag ist gestern der frühere bosnische Serben-Führer Radovan Karadzic zu 40 Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil gegen den 70-jährigen ist noch nicht rechtskräftig. Karadzic wurde unter anderem wegen der strafrechtlichen Verantwortung für den Völkermord 1995 in der früheren UNO-Schutzzone Srebrenica; etwa 8.000 Bosniaken wurden ermordet. Nach mehr als 20 Jahren auf der Flucht konnte Karadzic dann 2008 in Belgrad gefasst werden, wo er als Wunderheiler Dragan Dabic lebte. Doch wie leben heute Bosniaken und Serben in Srebrenica zusammen, wie sieht die soziale und wirtschaftliche Lage in einer Stadt aus, die vor dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien nicht nur als Industriezentrum eine wichtige Rolle spielte? In Srebrenica beheimatet ist auch ein Heilwasser und das gleichnamige Heilbad Guber, das von römischen Imperatoren ebenso geschätzt wurde wie von Kaiser Franz Josef. Doch derzeit fließt das Wasser weiter in die Kanalisation, weil das Bad noch immer nicht wieder arbeitet. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war in den vergangenen Tagen wieder einmal in Srebrenica und hat für das kommende Europajournal einen Beitrag über diese Stadt gezeichnet.

Ein kurzes Gebet am Grabe der Verwandten in der Gedenkstätte in Potocari; dann versammelten sich einige Hinterbliebene der Opfer des Massakers vom Srebrenica im Ausstellungsraum der Gedenkstätte, wo die Verkündung des Urteils gegen Radovan Karadzic direkt übertragen wurde. Sie dauerte zwei Stunden. Zu den Zuschauern zählt auch Meira Djogas von der Organisation der Mütter von Srebrenica. Sie verlor ihre Familie beim Massaker. Die 40 Jahre Haft für Radovan Karadzic kommentierte Meira Djogas, die alte, kleine Frau mit weißem Kopftuch, so:

"Ihm hätte man vor langer Zeit den Prozess machen müssen. Denn all die weißen Stelen hier zeugen davon, was die Verbrecher getan haben - ein Genozid. Und die Internationale Gemeinschaft ist auch schuld, denn wir waren eine UNO-Schutzzone, doch wieder haben sie uns abgeschlachtet. Das war nicht nur Radovan Karadzic; es gibt noch viele Karadzice, denen wir tagtäglich ins Auge sehen.“

Das stimmt, denn tausende Verfahren werden in Bosnien und Herzegowina wohl nie geführt werden, weil die juristischen Kapazitäten ebenso fehlen wie der politische Wille. Generell dominieren auch in der Region von Srebrenica Alltagssorgen; sie sind oft noch eine Folge des Krieges. Vor dem Krieg zählte Srebrenica 37.000 Einwohner; in den drei Industriezonen der Stadt waren 13.000 Menschen beschäftigt. Jetzt dürfte Srebrenica real nur 7.000 Einwohner zählen, je die Hälfte sind Bosniaken und Serben. Nur 2.500 gehen einer geregelten Arbeit nach. Ein wirtschaftlicher Hoffnungsschimmer liegt gegenüber der Gedenkstätte Potocari; seit 2012 stehen hier zwei Werke des Konzern Prevent, der in Srebrenica Griffe und Lederbezüge für Handbremsen fertigt. Die Bedeutung der Firma schildert Werksleiter Admir Sejdinovic so:

"Prevent ist sehr wichtig für Srebrenica; wir beschäftigen hier 176 Mitarbeiter; allein das ist schon eine große Zahl für die Stadt; doch jeder Beschäftigte hier hat noch eine Familie und somit werden hier 176 Familien ernährt."

Die Mitarbeiter verdienen umgerechnet zwischen 300 und 400 Euro netto im Monat. Das reicht hier, um Familien ernähren zu können. Im Supermarkt von Srebrenica kosten ein Wecken Brot zwischen 30 und 60 Eurocent; ein Liter Öl etwas mehr als einen Euro und ein Kilo Zucker etwa 70 Eurocent. Srebrenica und die 11 Kilometer entfernte Nachbargemeinde Bratunac versuchen, die Infrastruktur zu modernisieren und Betriebe anzusiedeln. Vor dem Krieg zählte Bratunac 33.000 Einwohner, die Mehrheit waren Bosniaken; jetzt sind es nur mehr 22.000 Einwohner, und die Bosniaken machen nur mehr ein Viertel der Bevölkerung aus. Etwa 10 Prozent sind arbeitslos. Wirtschaftlichen Aufschwung erhofft sich Bratunac vom Bau einer Brücke über die Drina als Anbindung an Serbien. Modernisiert wird gerade die Wasserversorgung, um Leitungsverluste zu verringern. Durch einen neuen Investor soll auch die Beheizung der Stadt auf Holzpellets umgestellt werden. Der tschechische Investor will 70 Mitarbeiter beschäftigen und den Waldreichtum der Region nutzen, erläutert Zudi Sadiki, einer der beiden Firmenchefs:  

"Pro Jahr wollen wir mindestens 30.000 Tonnen Holzpellets produzieren. Etwa 20 Prozent sollen exportiert werden; ein weiterer Teil ist für den Verkauf am lokalen Markt bestimmt. Mit dem größten Teil wollen wir ein Biomassekraftwerk betreiben; das erste soll hier in Bratunac stehen."

Ein weiterer Hoffnungsträger der Region Bratunac-Srebrenica sind vor allem die Himbeeren, für die die Region bereits vor dem Krieg bekannt war. Den Anbau von Himbeeren fördert auch die Salzburger Hilfsorganisation „Bauern helfen Bauern“ Sie ist seit 16 Jahren in der Region präsent und hat durch den Bau von Fertighäusern 350 Familien die Rückkehr ermöglicht. Gefördert wird aber auch eine nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung. Dem Bergbauer Ekrem, seiner Frau, seinem Schwager und seiner Schwägerin wurde beim Anbau von Himbeeren geholfen. Eine Tonne erntete Ekrem im Vorjahr und bekam dafür 1700 Euro. Weitere zwei Hektar sollen binnen drei Jahren Erträge abwerfen. Dazu sagt Namir Poric, der lokale Leiter der Organisation „Bauern helfen Bauern“:

"Auf primitive Weise haben die Menschen hier Himbeeren gezüchtet, so wie sie das von ihren Eltern gelernt haben. Doch jetzt werden viele Seminare angeboten. Somit können die Menschen wirklich schnell lernen, wie auf moderne Weise Himbeeren produziert werden."

Ekrem und seine Familie kehrten vor neun Jahren in ihr Heimatdorf Piric in der Region Bratunac-Srebrenica zurück. Um wie vieles schwerer als heute ihr Leben damals war, schildert Namir Poric:

"Ekrem und seine Frau, sein Schwager und dessen Frau haben Früchte des Waldes, Schnecken und Heilkräuter gesammelt, arbeiteten als Waldarbeiter für andere. Natürlich gab es auch humanitäre Hilfe von Lebensmitteln über Kleidung bis hin zu allem Nötigen, damit die Menschen ihre Felder reinigen konnten. Das Leben war wirklich sehr schwer für diese Menschen."  

Zusätzliche Probleme haben noch Bauern mit Kindern; Schulbusse in die Städte gibt es nicht, die Straßen zu den Bergbauern sind vielfach schlecht. Vielfach in Armut leben auch alte Menschen, die keine Verwandten und oft nur eine äußerst beschiedene Rente haben. 60 derartige Personen betreut „Bauern helfen Bauern“ mit einem Arzt, der seine Patienten zwei bis drei Mal pro Woche besucht. Trotz aller sozialen Probleme sind aber in der Stadt Srebrenica auch positive Entwicklungen sichtbar. Die meisten Kriegsschäden sind behoben, die Wasserversorgung wurde erneuert und die Stromversorgung verbessert. Katastrophal schlecht sind aber die Internetverbindungen, denn es fehlt in der Stadt einfach die Nachfrage; einen öffentlichen Verkehr gibt es praktisch nicht, und ab 19 Uhr gleicht Srebrenica einer Geisterstadt; keine Menschenseele ist mehr auf der Straße. Bekannt war Srebrenica bereit in der K und K Monarchie für sein Heilwasser; doch das Guber-Heilbad ist noch nicht wieder in Betrieb; die Gründe dafür erläutert Bürgermeister Camil Durakovic:

"Auch 20 Jahre nach Kriegsende rinnt das Heilwasser noch immer in den Kanal, obwohl das Wasser einst mehr Profit brachte als eine Goldgrube. Bei der Privatisierung wurde einer der Eigentümer des Objekts, während der zweite von der Regierung des serbischen Teilstaates die Nutzungsrechte am Wasser hat. Für Srebrenica ist das Heilbad Guber, das wichtigste Projekt überhaupt, doch wir sind die Sklaven eine Politik, die das offensichtlich nicht zulassen will."  

Camil Durakovic ist der einzige bosniakische Bürgermeister in einer Gemeinde des serbischen Teilstaates von Bosnien und Herzegowina. Dementsprechend schlecht sind die Beziehungen zu Provinzregierung in Banja Luka. Generell schüren die politischen Eliten von Serben, Bosniaken und Kroaten immer wieder nationale Gegensätze, kritisiert Namir Poric:  

"Ich glaube, dass die Politiker bei jeder Gelegenheit Öl ins Feuer gießen; vor jeder beliebigen Wahl beginnen sie wieder mit der alten nationalistischen Rhetorik, wobei man die Menschen natürlich sehr leicht manipulieren und Angst vor einem anderen erzeugen kann. Gerade jetzt sieht man, dass in den Medien und in der Öffentlichkeit, die Spannungen wieder steigen."

Denn natürlich hat die Urteilsverkündung im Falle Radovan Karadzic wieder alte Wunden aufgerissen. Trotzdem leben aber in Srebrenica Bosniaken und Serben ohne formelle Aussöhnung wieder miteinander, weil es einfach keine Alternative dazu gibt. Anderseits gibt es aber auch positive Beispiele für das Miteinander. Eines bietet das „Haus der guten Töne“. Hier singen Kinder und Jugendliche beider Volksgruppen in einem Chor. Geprobt wurde gestern für einen Auftritt in Sarajewo. Wenn sich die Politiker an diesen Kindern ein Beispiel nehmen, können nicht nur Srebrenica sondern auch ganz Bosnien einer besseren Zukunft entgegensehen.  

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