Bosnien und Herzegowina vor dem Papstbesuch
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Berichte Bosnien
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Sarajewo
Insert1: Alma Aganspahic, Dirigentin des Chors Pontanima
Insert2: Bruder Ivo Markovic, Gründer des Chors Pontanima
Insert3: Bosana Ivelic-Katana, Interreligiöser Rat Bosnien
Insert4: Ivica Mrso, Koordinator des Katholischen Schulzentrums in Sarajewo
Insert5: Monsignore Ivo Tomasevic, Pressesprecher der katholischen Bischofskonferenz
Insert6: Pater Marko Stepanovic, Franziskaner in Zovik
Insert7: Nebojsa Draskic, serbisch-orthodoxer Priester im Distrikt Brcko
Insert8: Osman Efendi Kozlic, Mufti von Banja Luka
Insert9: Franjo Komarica, Bischof von Banja Luka
Gesamtlänge: 8’28
Als Jerusalem am Balkan wird Sarajewo oft bezeichnet, weil hier Islam, orthodoxes und katholisches Christentum sowie Judentum auf engstem Raum das Stadtbild prägen. Ihr Zusammenleben kulturell zu fördern ist das Hauptziel des gemischten Chors Pontanima. 1998, drei Jahre nach Kriegsende gegründet, pflegt der Laienchor das Liedgut der vier dominanten Religionen des Landes. Seine Mitglieder repräsentieren alle Volksgruppen und Religionen inklusive Atheisten; sie eint der Glaube an eine friedliche Zukunft von Bosnien und Herzegowina:
„Das ist der Punkt, dass wir wirklich ins Herz greifen, dass wir doch alle gleich sind, dass wir doch miteinander bestehen müssen; unser Name sagt schon alles – „Pont Anima – die Brücke der Seelen – und das ist der Höhepunkt von allem.“
Gegründet hat den Chor der Franziskaner Ivo Markovic; sein Orden ist seit dem Ende des 13. Jahrhunderts in Bosnien präsent und übte großen Einfluss auf Geschichte und Kultur aus. Der Chor Pontanima soll das Zusammengehörigkeitsgefühl der drei Völker ebenso stärken, die der Krieg auch entlang ihrer Glaubensbekenntnisse teilte:
„In Bosnien sind Glaube und Kirchen noch Teil des gesellschaftlichen Lebens. Problematisch ist das nationale Vorzeichen des Glaubens, wo die Nation an die Stelle Gottes tritt. Das belastet Bosnien; die Politiker können mit dem Glauben manipulieren und ihn für ihre Zwecke nutzen. Die religiösen Führer akzeptieren das, weil damit Macht und Geld verbunden sind; doch die Religion wird durch ihr politische Instrumentalisierung geschädigt.“
Zusammenarbeit und Dialog zu stärken ist die Hauptaufgabe des Interreligiösen Rates in Sarajewo. Diese Nicht-Regierungs-Organisation entstand 1997 und damit zu einer Zeit, als es schon ein positives Zeichen war, wenn die Führer der Religionen miteinander Kaffee tranken. Nun geht es vor allem darum, das gegenseitige Wissen um die jeweils andere Religion zu vertiefen. Dazu dienen Besuche junger Menschen in Kirchen, Moscheen und Synagogen, Fußballturniere zwischen Imamen und Priestern sowie Treffen junger Theologen aller Konfessionen:
„An den theologischen Fakultäten wird über die anderen Religionen gelehrt, doch deren Vertreter haben nur wenige persönliche Kontakte. Sie sind nötig, um den anderen besser zu verstehen und Vorurteile abzubauen. An vielen Orten leben mononationale und monoreligiöse Gruppen; sie sind in sich geschlossen und haben kein Bedürfnis mit anderen zu kommunizieren.“
Noch früher bei der Jugendarbeit setzt das Katholische Schulzentrum in Sarajewo an. Ein knappes Drittel der 1500 Schüler sind keine Katholiken; das ist noch nicht selbstverständlich in einem Land, in dem es noch nach Volksgruppen getrennte Klassen gibt. Die Eltern können zwischen Ethik- und Religionsunterricht wählen. Angeboten werden islamischer und katholischer Religionsunterricht; orthodoxen gibt es keinen, weil die serbisch-orthodoxe Kirche noch keinen Lehrer nominiert hat. Wissen über andere Religionen werden noch in einem anderen Fach vermittelt:
„Neben dem Religionsunterricht gibt es das Pflichtfach Religionsgeschichte, und zwar in der achten Klasse Grundschule und in der dritten Klasse Gymnasium. Da werden die Kinder nicht nur über Christentum, Islam und Judentum unterrichten, sondern auch über alle anderen Weltreligionen.“
All diese Maßnahmen sind lobenswert, zufriedenstellend verläuft die interreligiöse Zusammenarbeit aber noch lange nicht:
„Wo zwei Religionsgemeinschaften schwach sind, besteht zwischen beiden eine sehr gute Zusammenarbeit. Doch mit der stärkeren Gemeinschaft ist dann die Zusammenarbeit nicht gut. Mit der islamischen Gemeinschaft ist die Zusammenarbeit gut in Sarajewo, Mostar und Banja Luka. Mit den orthodoxen Bischöfen hatte unsere Bischofskonferenz mehrere Treffen nach dem Krieg. Doch trotz einiger Versuche von unserer Seite kamen diese Treffen dann nicht mehr zustande.“
Dominant sind Kroaten und Katholiken in der Pfarre Zovik im Distrikt Brcko im Nordosten von Bosnien im Grenzgebiet zu Kroatien. Trotzdem macht diese Ortschaft einen verlassenen Eindruck. Die Pfarre Zovik zählt einst mehr als 3.000 Katholiken; nun sind es nur mehr 1.100, weitere 1000 leben allein in Wien. Die Abwanderung hat wirtschaftliche Gründe. Den Schwund spürt auch der Ortsgeistliche:
„Pro Jahr haben wir 25 Begräbnisse im Durchschnitt aber nur acht Taufen. Die Zahl der Hochzeiten schwankt; heuer werden wir bis zu zehn haben, auch deshalb, weil hier auch junge Paare heiraten wollen, die im Ausland leben.“
In Zovik wird jeden Tag die Messe gelesen; Kroaten sind disziplinierte Kirchgeher; etwa die Hälfte der Volksgruppe besucht regelmäßig die Messe, schätzt die Bischofskonferenz in Sarajewo. In Zovik leben nur acht serbisch-orthodoxe Familien; in der kleinen Kirche wird nur ein Mal pro Monate die Messe zelebriert. Beide Kirchen sind nicht weit voneinander entfernt; trotzdem haben beide Geistliche einander noch nie in Zovik getroffen. Der interreligiöse Dialog sei wichtig für die Aussöhnung, finde aber in Brcko statt:
„Ich lehre die Menschen vor allem, dass sie sich nur darin unterscheiden, ob sie Menschen oder Unmenschen sind. Denn auch der Herr sagt, es gibt weder Griechen noch Juden, Herrn oder Knechte, sondern wir sind alle gleich in und vor Christus. Im Paradies gibt es keinen Platz für Serben, Kroaten oder Muslime, sondern entscheidend ist, ob man ein Mensch war, der Gottes Lohn oder Strafe verdient.“
Dass diese Botschaft Zeit braucht, zeigt auch die Ferhadija-Moschee in Banja Luka. 1993 von serbischen Nationalisten zerstört steht ihr Neubau nun knapp vor dem Abschluss. Im Krieg wurden sakrale Bauwerke aller Religionsgemeinschaften Opfer des Hasses, dessen Folgen noch immer nachwirken:
„Wir gratulieren einander zu religiösen Feiertagen, doch eine richtige Zusammenarbeit gibt es nicht. Ich hoffe, dass sich die Beziehungen mit Hilfe auch der Internationalen Gemeinschaft verbessern. Wie sagt der bekannte deutsche Theologe Hans Küng: einen Frieden zwischen den Völkern gibt es nicht ohne Frieden zwischen den Religionen, und dazu braucht es den Dialog.“
Banja Luka zählt 200.000 Einwohner; vor dem Krieg lebten hier bis zu 80.000 Bosniaken, nun sind es nur mehr bis zu 15.000. Noch katastrophaler sind die demographischen Verluste der Kroaten; im serbischen Landesteil sank ihre Zahl von 200.000 auf unter 10.000. Der Papst-Besuch im Jahre 2003 in Banja Luka konnte diesen Trend nicht stoppen, und daran wird wohl auch der bevorstehende Papstbesuch in Sarajewo nichts ändern:
„Für den Vatikan zählt Bosnien zu den Staaten, in denen die Katholiken am gefährdetsten sind. Doch der Papst kann nichts erzwingen; er ist eine moralische Autorität und appelliert im Namen der Werte des Christentums, konstruktiv für das Allgemeinwohl zu arbeiten. Dafür und für den Frieden wollen hier die Katholiken arbeiten, die keine Privilegien wollen.“
Doch je mehr Zeit vergeht, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr. 20 Jahre nach Kriegsende haben Bosniaken, Kroaten und Serben sowie ihre Kirchen noch immer nicht zu einer gemeinsamen staatlichen Identität gefunden; dabei könnte gerade der Chor Pontanima ein Beispiel dafür sein, wie schön und schöpferisch Vielfalt in der Einheit sein kann.