Bosnien und Herzegowina vor dem Papstbesuch
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Als Jerusalem am Balkan wird Sarajewo oft bezeichnet, weil hier Islam, orthodoxes und katholisches Christentum sowie Judentum auf engstem Raum das Stadtbild prägen. Ihr Zusammenleben kulturell zu fördern ist das Hauptziel des gemischten Chors Pontanima. 1998, drei Jahre nach Kriegsende gegründet, pflegt der Laienchor das Liedgut der vier dominanten Religionen des Landes. Seine Mitglieder repräsentieren alle Volksgruppen und Religionen inklusive Atheisten; sie eint der Glaube an eine friedliche Zukunft von Bosnien und Herzegowina. Der Direktor des Chores Pontanima, Dean Azdajic, formuliert diese Botschaft so:
„Die Botschaft Pont Animas ist Einigkeit. Pluralität in Einigkeit, Einigkeit des Menschentums. Ich bin überzeugt, dass Musik ein neutrales Territorium ist, etwas neutrales ist, etwas, das man nicht übersetzen muss; jeder Mensch, wo du auch lebst versteht Musik, und auf diesem neutralen Territorium können sich verschiedene Menschen mit verschiedenen Ansichten treffen und kennenlernen, und dann sehen sie, wie sie ähnlich sind.“
Diese Botschaft ist auch zwischen den Religionsgemeinschaften in Bosnien und Herzegowina noch nicht leicht zu vermitteln; einerseits sind die Gräben zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten auch noch 20 Jahre nach Kriegsende tief; andererseits ist die religiöse Bildung nicht besonders ausgeprägt, und die drei Volksgruppen bekennen sich zu ihren Glaubensgemeinschaft vielfach weniger des Glaubens wegen, sondern weil ein Kroate eben katholisch, eine Serbe orthodox und ein Bosniake muslimisch ist. Diese Verbindung zwischen Nation und Religion wird oft politisch missbraucht; das belastet die Aussöhnung aber auch die Zusammenarbeit der Glaubensgemeinschaften. Diesen Dialog zu stärken ist die Hauptaufgabe des Interreligiösen Rates in Sarajewo. Diese Nicht-Regierungs-Organisation entstand 1997 und damit zu einer Zeit, als es schon ein positives Zeichen war, wenn die Führer der Religionen miteinander Kaffee tranken. Nun geht es vor allem darum, das gegenseitige Wissen um die jeweils andere Religion zu vertiefen. Dazu dienen Besuche junger Menschen in Kirchen, Moscheen und Synagogen, Fußballturniere zwischen Imamen und Priestern sowie Treffen junger Theologen aller Konfessionen. Einer der Vertreter der jüdischen Gemeinde im Interreligiösen Rat ist Boris Kozemjakin; seiner Ansicht nach hat sich das Verhältnis der Glaubensgemeinschaften seit Kriegsende stark verbessert, doch es gebe auch Grund zur Sorge:
„Wir sind besorgt über diverse Kommentare in elektronischen Medien, wo man die Sprache des Hasses sieht, die vor allem bei einer Gruppe junger Menschen ausgeprägt ist, die den Krieg gar nicht erlebt haben. Trotzdem kommt der Hass vor allem bei diesem Teil der Bevölkerung zum Ausdruck, von dem ich hoffe, dass er der kleinere Teil ist. Das zählt zum Minus der Kirchen, die diese Jugendlichen nicht richtig unterrichtet haben, oder sie haben in ihrem Elternhaus nicht die Erziehung genossen, die für ein Zusammenleben nötig ist; all das versucht der Interreligiöse Rat zu leisten.“
Noch früher bei der Jugendarbeit setzt das Katholische Schulzentrum in Sarajewo an. Ein knappes Drittel der 1500 Schüler sind keine Katholiken; das ist noch nicht selbstverständlich in einem Land, in dem es noch Klassen gibt, die nach Volksgruppen getrennt sind. Die Eltern können zwischen Ethik- und Religionsunterricht wählen. Angeboten werden islamischer und katholischer Religionsunterricht; orthodoxen gibt es keinen, weil die serbisch-orthodoxe Kirche noch keinen Lehrer nominiert hat. Wissen über andere Religionen werden noch im Fach Religionsgeschichte vermittelt, das in der achten Klasse der Grundschule und in der dritten Klasse des Gymnasiums ein Pflichtfach ist. All diese Maßnahmen sind lobenswert, zufriedenstellend verläuft die interreligiöse Zusammenarbeit aber noch lange nicht. Dazu sagt der Mufti von Sarajewo, Enes Efendi Ljevakovic:
„Natürlich treffen wir einander an den religiösen Feiertagen, doch das ist vor allem ein Ausdruck von Höflichkeit. Wünschenswert ist es, dass das auch auf unterer Ebene erfolgt. Andererseits arbeiten in den staatlichen Institutionen Menschen verschiedener Bekenntnisse ohne Probleme zusammen. Doch die Glaubensgemeinschaften leben getrennt voneinander. Früher gab es mehr Treffen und auch gemischte Ehen, doch der Krieg hat eben auch zum Mißtrauen beigetragen. Seine Überwindung braucht Zeit, aber wirtschaftlichen Wohlstand erreichen wir nur, wenn wir zusammenarbeiten“
Ähnlich bewertet die Lage Monsignore Ivo Tomasevic, der Pressesprecher der katholischen Bischofskonferenz:
„Wo zwei Religionsgemeinschaften schwach sind, besteht zwischen beiden eine sehr gute Zusammenarbeit. Doch mit der stärkeren Gemeinschaft ist dann die Zusammenarbeit nicht gut. Mit der islamischen Gemeinschaft ist die Zusammenarbeit gut in Sarajewo, Mostar und Banja Luka. Mit den orthodoxen Bischöfen hatte unsere Bischofskonferenz mehrere Treffen nach dem Krieg. Doch trotz einiger Versuche von unserer Seite kamen diese Treffen dann nicht mehr zustande.“
Generell besteht der Eindruck, dass bei der serbisch-orthodoxen Kirche das Interesse an der interreligiösen Zusammenarbeit am wenigsten besteht. Keiner Ihrer führenden Vertreter in Bosnien war zu einem Interview bereit; das mag aber auch mit den Konflikten zu tun haben, die bei der Tagung des Heiligen Synod in Belgrad im Zusammenhang mit der Ablöse von zwei orthodoxen Bischöfen klar sichtbar wurden. In dieses Bild passt aber, dass im serbischen Landesteil von Bosnien, in der Republika Srpska, Muslime und Katholiken nur mehr eine sehr kleine Gruppe bilden. Die regionale Hauptstadt Banja Luka zählt 200.000 Einwohner; vor dem Krieg lebten hier bis zu 80.000 Bosniaken, nun sind es nur mehr bis zu 15.000. Noch katastrophaler sind die demographischen Verluste der Kroaten; im serbischen Landesteil sank ihre Zahl von 200.000 auf unter 10.000. Dazu sagt Monsignore Tomasevic:
„Am schlimmsten ist die Lage der Katholiken in der Republika Srpska, wo nur fünf Prozent der Katholiken aus der Vorkriegszeit übrig geblieben sind. Das sind sehr oft alte Menschen und es leben dort nur wenige junge Familien. Es ist nicht hinnehmbar, dass in einer Hälfte des Landes Katholiken und Kroaten verschwinden. Das ist das Ergebnis einer Politik, die im Krieg begann und danach fortgeführt wurde.“
Der Papst-Besuch im Jahre 2003 in Banja Luka konnte diesen Trend nicht stoppen; daran wird wohl auch der bevorstehende Papstbesuch in Sarajewo nichts ändern, der aber natürlich mit dem Rückgang der Katholiken in Zusammenhang steht. Monsignore Ivo Tomasevic:
„Der Papst hat auch gesagt, dass er nach Bosnien kommt, weil er die Katholiken ermutigen will. Sie sollen hier ihre Zukunft sehen und diese Gesellschaft aufbauen. Zweitens kommt der Papst, um die Saat des Guten in allen zu wecken; das gilt vor allem für die Politiker aber auch für alle Menschen, um dieses Land aufzubauen und Gutes zu tun. Drittens betont der Papst den interreligiösen Dialog, den vor allem die religiösen Vertreter führen müssen. In diesem Sinne hat der Papst Bosnien gewählt, um zum Weg des Friedens aufzurufen. Daher heißt das Motto des Besuches auch, der Friede sei mit Euch.“
20 Jahre nach Kriegsende haben Bosniaken, Kroaten und Serben sowie ihre Kirchen noch immer nicht zu einer gemeinsamen staatlichen Identität gefunden; dabei könnte gerade der Chor Pontanima ein Beispiel dafür sein, wie schön und schöpferisch Vielfalt in der Einheit sein kann.