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Mladic-Prozess als Wettlauf gegen die Zeit

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Wiener Zeitung
Berichte Bosnien
Vor dem Kriegsverbrecher Tribunal beginnt heute der Prozess gegen General Ratko Mladic, den ehemaligen Kommandanten der bosnischen Serben. Die Anklage umfasst 11 Punkte. Dazu zählen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verletzungen des Kriegsvölkerrechts. Hinzu kommen der Vorwurf der Vertreibung von muslimischen Bosniaken und Kroaten aus 20 Gemeinden in ganz Bosnien und Herzegowina sowie der Geiselnahme von UNO-Soldaten und die Anklage wegen der Angriffe mit Artillerie und Scharfschützen auf die belagerte Hauptstadt Sarajewo. In zwei Fällen ist Mladic auch wegen Völkermordes angeklagt, und zwar wegen des Massakers an mehr als 7.000 Zivilisten im Raum der ostbosnischen Stadt Srebrenica und wegen Völkermordes begangen in sieben bosnischen Gemeinden.

Der Prozess in Den Haag beginnt heute mit der Einführung der beiden Ankläger, für die sechs Stunden vorgesehen sind, so dass diese Einführung auch noch morgen fortgesetzt wird. Der erste Zeuge der Anklage wird erst am 29. Mai aussagen. Während des Beweisverfahrens will die Anklage 413 Zeugen präsentieren; die Mehrheit dieser Zeugen hat bereits in anderen Prozessen ausgesagt, sodass deren Aussage nur in schriftlicher Form vorgelegt wird. Nur sieben Zeugen werden vor Gericht erscheinen, wobei für die Einvernahme aller Zeugen insgesamt 200 Stunden vorgesehen sind. Die Anklageschrift gegen Ratko Mladic wurde mehrfach gestrafft, denn Mladic ist bereits 70 Jahre alt und sein Gesundheitszustand gilt als labil, sodass der Prozess auch ein Wettlauf mit der Zeit ist. Das Tribunal will auf jeden Fall vermeiden, dass nach Slobodan Milosevic noch ein weiterer Hauptangeklagter in einer Zelle des Tribunals stirbt.

Am Beginn des Prozesses werden weder Ratko Mladic noch seine Verteidiger das Wort ergreifen. Das soll erst geschehen, wenn die Anklagebehörde ihre Beweisaufnahme abgeschlossen hat. Die Verteidigung klagte immer wieder über zu wenig Zeit zum Aktenstudium, doch das Tribunal wies alle Anträge auf eine weitere Verschiebung des Prozessbeginns ab. Nach einer praktisch identischen Anklage wird bereits seit April 2010 dem ehemaligen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, in Den Haag der Prozess gemacht. Karadzic und Mladic werden eines gemeinsamen „verbrecherischen Unternehmens“ beschuldigt, das die Vertreibung aller Nicht-Serben aus den serbischen Siedlungsgebieten in Bosnien und Herzegowina zum Ziel gehabt haben soll. Während Karadzic im Juli 2008 in Belgrad verhaftet wurde, wurde Mladic erst Ende Mai 2011 in einem Dorf in Serbien bei Verwandten festgenommen. Der Prozess gegen beide spaltet nach wie vor Bosniaken und Serben – für die Bosniaken sind beide Verbrecher, für die bosnischen Serben ist vor allem Mladic ein Held. Dass an dieser Unterschiedlichen Wahrnehmung der Prozess in Den Haag kurzfristig etwas ändern wird, ist auszuschließen. Zu festgefahren sind die Geschichtsbilder und zu negativ ist das Image des Haager Tribunals bei den Serben, um eine Änderung der Haltung zu bewirken.

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