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Bosnien und Herzegowina vor der Wahl

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Wiener Zeitung
Berichte Bosnien
„Es ist alles sehr kompliziert!“ Dieser legendäre Ausspruch des verstorbenen Altkanzlers Fred Sinowatz beschreibt das am besten, was der Staat Bosnien und Herzegowina ist und was sich bei den allgemeinen Wahlen am 3. Oktober in dieser ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik abspielen wird. Mit etwa vier Millionen Einwohnern ist Bosnien-Herzegowina halb so groß wie Österreich. Gewählt werden aber: die drei Mitglieder des Staatspräsidiums, das gesamtstaatliche Parlament, das aus zwei Kammern besteht, die Parlamente der zwei Teilstaaten (Bosniakisch-kroatische Föderation und Republika Srpska), der Präsident des serbischen Teilstaates, seine beiden Vizepräsidenten sowie im bosnisch-kroatischen Landesteil auch noch die zehn Parlamente der Kantone. Insgesamt gibt es mehr als 770 Listen mit mehr als 8.200 Kandidaten. Wahlberechtigt sind 3,1 Millionen Wähler, etwa 1.9 Millionen in der Föderation und 1,2 Millionen im serbischen Teilstaat. Geschaffen wurden diese System und seine Institutionen mit dem Friedensvertrag von Dayton, der 1995 einen dreijährigen Bürgerkrieg beendete. Seit dem ist es nicht gelungen, einen Ausweg aus diesem bürokratischen Dschungel zu finden, in dem sich nicht nur nationalistische Parteien mit vorwiegend westlichem Geld jahrelang recht bequem eingerichtet haben.

Noch komplizierter wird das Wahlsystem durch zwei Faktoren: erstens finden in Bosnien und Herzegowina de facto drei Wahlen statt. In der Regel stimmen serbische, bosniakische und kroatische Wähler nur für Parteien und Kandidaten ihrer Volksgruppen. Zweitens ist es sehr leicht, ein Kandidat zu werden. So braucht man für die Kandidatur zum drei Personen zählenden Staatspräsidium nur 3.000 Unterschriften, und das ist in einem noch dazu armen Land keine große Herausforderung, weil Unterschriften auch gekauft werden können. Hinzu kommt die Zersplitterung der Parteienlandschaft. So bewerben sich für das Staatspräsidium, das aus je einem Vertreter der „konstitutiven Völker“ besteht drei Serben, neun Bosnjaken und sieben Kroaten. Weitgehend sicher ist die Wiederwahl des kroatischen Vertreters, Zeljko Komsic, in dieses höchste Staatsamt. Erstens ist Komsic populär und zwar auch unter den Bosniaken deren Sozialdemokratische Partei Komsic nominiert hat, der auch beträchtlich Zugewinne vorhergesagt werden. Zweitens sind die kroatischen Parteien viel zu zersplittert um einen eigenen Kandidaten durchbringen zu können.

Bei den Bosniaken besteht ein Zweikampf zwischen dem derzeitigen Mitglied Harris Silajdzic und Bakir Izetbegovic, dem Sohn des verstorbenen „Staatsgründers“ Alija Izetbegovic. Bakir Izetbegovic vertritt die Partei SDA, die in Grundfragen des Zusammenlebens mit Serben und Kroaten eine moderate Linie verfolgt. Dagegen vertritt Silajdzic (Partei für Bosnien und Herzegowina) eine kompromisslose Linie. Er ist für einen starken Zentralstaat unter bosniakischer Führung. Das ist politisch nicht durchsetzbar, weder bei Serben noch Kroaten, garantierte aber bislang einen beträchtlichen Erfolg. Unter den Serben ist Amtsinhaber Nebojsa Radmanovic der aussichtsreichste Kandidat. Sein Herausforderer ist der frühere Außenminister Mladen Ivanic, der allerdings nur dann eine Chance hat, wenn für ihn in der Republika Srpska (RS) auch die bosniakischen und kroatischen Wähler ziemlich geschlossen stimmen. Radmanovic geht für die Partei von Milorad Dodik ins Rennen. Dodik war bisher Ministerpräsident des serbischen Teilstaates, den er mit absoluter Mehrheit regierte. Diese Mehrheit könnte dahin sein, doch Dodiks Dominanz dürfte bleiben. Er kandidiert nun für das Amt des Präsidenten der RS und dürfte nach Umfragen die Wahl klar gewinnen. Milorad Dodik ist der Antipode von Harris Silajdzic. Dodik lehnt jede weitere Stärkung des Zentralstaates ab und fordert sogar die Rückgabe von Kompetenzen, die die internationalen Bosnien-Beauftragten den zwei Teilstaaten mit Mühe abgetrotzt haben. Außerdem fordert Dodik die Abschaffung des Bosnien-Beauftragten und seines Büros (OHR) als Vorbedingung für weitere Reformen. Diese Haltung fällt Dodik nicht besonders schwer, weil die internationale Gemeinschaft und die EU uneins sind über die Rolle des Beauftragten, der seine enorme Machtfülle daher kaum mehr ausspielen kann.

Der Dauerkonflikt zwischen Dodik und Siladzic war einer der Faktoren, der Bosnien und Herzegowina in den vergangenen vier Jahren lähmte. Abgesehen von der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens mit der EU und der nun erreichten Visa-Liberalisierung bewegte sich im Land kaum etwas, das den Namen „Reform“ verdient. Hinzu kommt, dass auch das Zusammenleben zwischen Kroaten und Bosniaken in der Föderation alles andere als gut funktioniert. Die Regierungsbildung in diesem Teilstaat dauerte nach der Wahl im Oktober 2006 fünf Monate und die Stadt Mostar verfügte mehr als ein Jahr über keinen Bürgermeister, weil sich beide Volksgruppen nicht einigen konnten. Aus diesem Grund ist auch die Nachbesetzung von Richtern im Verfassungsgerichtshof der Föderation seit 2009 nicht gelungen. Von der globalen Wirtschaftskrise wurde die Föderation noch schwerer getroffen als der serbische Teilstaat, der über Reserven aus Privatisierungserlösen verfügt. Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit in beiden Landesteilen hoch, und angesichts enormer Soziallasten für Veteranen und Pensionisten wäre die Föderation im Vorjahr beinahe bankrott gegangen, hätte nicht der IWF dem Gesamtstaat einen Kredit gewährt. Die politischen Dauerkonflikte führten dazu, dass Bosnien auch kein Gesetz über die Volkszählung verabschieden konnte, die eigentlich 2011 stattfinden soll, denn der letzte Zensus stammt noch aus dem Jahr 1991. „Bosnien ist ein unmögliches Land“ lautet Milorad Dodiks Befund. Sollte die Lähmung nach den Wahlen andauern, könnte Dodik Recht behalten, was immer das für die Existenz des Landes dann auch bedeuten mag.

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