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Bosnien zwischen Stagnation und europäischer Perspektive

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Wiener Zeitung
Berichte Bosnien
Neben dem ungelösten Status des Kosovo entwickelt sich auch Bosnien-Herzegowina immer mehr zum Sorgenkind der EU am Balkan. Denn seit dem vorläufigen Abschluss der Gespräche über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Ende des Vorjahres herrscht Stillstand. Wie langsam die politische Entscheidungsfindung in dieser ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik vor sich geht, zeigt der Umstand, dass die letzte Regionalregierung erst Ende Juli zustande kam, obwohl die allgemeinen Wahlen schon im Oktober des Vorjahres stattgefunden haben. So bescheinigt die EU den Politikern in Bosnien denn auch fehlendes Verantwortungsbewusstsein und mangelnden Reformwillen. Das betrifft nicht nur die Reform des komplizierten Staates, der aus zwei Teilstaaten, der bosnjakisch-kroatischen Föderation und der Serben-Republik besteht. Denn auf etwa vier Millionen Einwohner kommen mehr als 200 Minister.

Größter Stolperstein auf dem Weg Richtung EU ist derzeit die Polizeireform, über die seit etwa zwei Jahren verhandelt wird. Hier hat Brüssel drei Prinzipien genannt, die Bosnien zu erfüllen hat. Dazu zählen ein Polizeigesetz, ein Budget, eine Kommandostruktur, die alle auf gesamtstaatlichem Niveau vorhanden sein müssen; zweitens fordert die EU eine Entpolitisierung der Polizei und drittens eine neue territoriale Gliederung der Polizeiorganisation, die die Grenzen der beiden Teilstaaten überschreiten soll. Die Umsetzung dieser Grundsätze scheiterte bisher an nationalen Gegensätzen, denn die Polizeiorganisation entspricht derzeit den Grenzen der beiden Teilstaaten, der bosnjakisch-kroatischen Föderation und der Serben-Republik. Die bosnischen Serben stemmen sich gegen jeden weiteren Kompetenzverlust, während die Bosnjaken den Reformdruck nutzen wollen, um die Serben zu schwächen. Gleichzeitig ist die Polizeiorganisation in der Föderation durch die Gliederung in 10 Kantone weit von jeder Effizienz entfernt, wobei neben bürokratischen Problemen auch noch Gegensätze zwischen Bosnjaken und Kroaten zu überwinden sind.

Daher ist neben der Polizei die Reform des komplizierten Staatswesens das zweite Grundproblem, das es in Bosnien-Herzegowina zu lösen gilt. Das Land zählt nur etwa vier Millionen Einwohner, hat aber 14 Regierungen, einige Präsidenten und Vizepräsidenten und an der Spitze ein rotierendes Staatspräsidium, das aus Vertretern der drei konstitutiven Völker besteht. Eine erste Reform dieses „Leviatans“ scheiterte im Vorjahr nur knapp aber doch, weil vor allem radikaleren Bosnjaken die Reform nicht weit genug ging. Sie wollen die Serben-Republik, dieses „Produkt des Genozids“ überhaupt beseitigen, obwohl sie mit den Serben in einem Staat auch weiter zusammenleben müssen. Denn die Kriegsvergangenheit trennt noch immer, jeder sieht nur seine Opfer, und das Staatsbewusstsein ist daher nur schwach ausgeprägt. Nach einer Umfrage eines renommierten Belgrader Meinungsforschungsinstitutes unterstützen nur knapp die Hälfte aller Serben und nur ein Viertel der Bosnjaken und Kroaten diese Staatsstruktur, die die internationale Gemeinschaft mit dem Friedensvertrag von Dayton geschaffen hat. Das Positive daran ist, dass somit dass Wissen um die Unhaltbarkeit der Lage weit verbreitet ist, doch eine politische Einigung steht eben noch aus.

Einen Ausweg aus dieser verfahrenen Lage soll nun der Slowake Miroslav Lajcak bringen, der seit Juli Hoher Beauftragter der EU in Bosnien ist. Der 44-jährige Lajcak spricht fließend serbisch und gilt als guter Kenner des Balkan. Er ist der sechste westliche Diplomat, der dieses Amt seit dem Ende des Bosnienkrieges im Jahre 1995 ausübt. Lajcak ist bestrebt, vor allem die Polizeireform noch bis zum Herbst abzuschließen; nur dann kann Bosnien das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit der EU noch in diesem Jahr paraphieren. Es soll das Land fest auf EU-Kurs bringen und den Reformdruck weiter erhöhen. Denn auf dem Weg Richtung EU braucht Bosnien einen effizienteren Gesamtstaat. So fehlt bisher sogar ein gesamtstaatliches Landwirtschaftsministerium, das allfällige Verhandlungen mit Brüssel führen könnte. Daher ist Lajcaks zweite Priorität auch die Reform der Verfassung. Hinzu kommen natürlich die Standardthemen wie die Jagd nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadjic. Er soll für das Massaker an 8.000 Bosnjaken in Srebrenica im Juli 1995 politisch verantwortlich sein. Um Karadjics Netzwerk zu schwächen, hat Lajcak im Juli mehr als 30 serbische Polizeioffiziere suspendiert.

Generell zu kämpfen hat der neue EU-Bosnien-Beauftragte mit einer weitverbreiteten Frustration, vor allem unter der Jugend. Nach Umfragen würden zwei Drittel der jungen Bosnier auswandern, wenn sie es könnte. Grund dafür ist auch die triste wirtschaftliche und soziale Lage. Ein Staat wie Bosnien ist für ausländische Investoren nicht besonders attraktiv, fest jeder Dritte ist arbeitslos, und ohne Zuschüsse von Familienmitgliedern aus dem Ausland wäre auch das derzeitige Lebensniveau nicht zu halten. Trotzdem zeigt die Demographie ein deutliches Bild; zwischen 1996 und 2006 sank die Zahl der Lebendgeburten von 46.000 auf 32.000; das bedeutet einen prognostizierten Rückgang der Bevölkerung bis 2050 von vier auf drei Millionen. Praktisch zum Stillstand gekommen ist auch aus politischen Gründen die Flüchtlingsrückkehr; Rückkehrer waren vor allem alte Menschen, die vorwiegend in Gebiete zurückkehrten, in denen ihre Volksgruppe die Mehrheit stellt. Diesen Trend verstärkt noch die schleichende Binnenmigration, so dass Bosnien-Herzegowina – trotz aller Sonntagsreden von Politikern und Internationalen - auf dem zu „ethnisch reinen“ Territorien ist. Das kann den Zusammenhalt des Staatsgebildes weiter schwächen, zumal wirtschaftlich die Serben-Republik schrittweise auf das Niveau der Föderation aufschließt. Umso wichtiger ist daher die europäische Integration; denn dereinst als EU-Mitglied wird es für die Stabilität in Bosnien und am Balkan nicht mehr so entscheidend sein, wie stark die regionale Kooperation der Kroaten und Serben in Bosnien mit ihren „großen Brüdern“ in Agram und Belgrad ist.

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