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Die forensische Aufarbeitung des Massakers von Srebrenica

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Berichte Bosnien
In Srebrenica wird heute wieder des Massakers am mehr als 7.000 Bosniaken gedacht, die Mitte Juli von Truppen der bosnischen Serben unter Führung von General Ratko Mladic ermordet wurden. Bei der Gedenkfeier in der Gedenkstätte in Potocari werden auch heuer wieder Opfer bestattet, die durch einen Vergleich von DNS-Material identifiziert und deren sterbliche Überreste in mühevoller Kleinarbeit zusammengesetzt werden konnten. Dieser Arbeit widmet sich ein Team in Tuzla, das zum Stab der Internationalen Kommission für Vermisste zählt, die Büros in ganz Bosnien und Herzegowina unterhält. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat diesem Team in Tuzla besucht und den folgenden Berichtüber Suche und Identifizierung der Opfer von Srebrenica gestaltet:

Das Haus in einem Stadtteil von Tuzla ist weiß, langgezogen und unscheinbar; sein Inhalt ist jedoch erschreckend. Denn sein Lager enthält derzeit etwa 1700 Säcke mit Knochen. Sie dürften jene noch etwa 900 offenen Fälle des Massakers von Srebrenica enthalten, die das Team aus Anthropologen, Kriminalisten und Osteologen der Internationalen Kommission für vermisste Personen noch zu klären hat. Diese Spezialisten leisten tagtäglich eine Siphos-Arbeit. Sie versuchen aus den Skelettteilen Personen zu rekonstruieren und nehmen auch DNS-Proben, die dann mit der DNS-Datenbank und den Blutproben verglichen werden, die von Angehörigen und Hinterbliebenen stammen. Diese Arbeit ist deshalb so aufwendig, weil die Mörder von Srebrenica ihre Opfer bis zu zweimal umgebettet haben, um die Spuren ihrer Tat zu verwischen. So bestehen sogenannte sekundäre und sogar tertiäre Massengräber, in denen Überreiste einer Person gefunden wurden. Trotzdem hätten die Experten den Großteil ihrer Arbeit geleistet, betont in Tuzla Projektmanagerin Emina Kurtalic:

„Für die Opfer von Srebrenica wurden mehr als 6.900 DNS-Befunde gesammelt, so dass uns eben mehr als 6.900 Opfer namentlich bekannt sind. Doch offiziell identifiziert haben wir bisher mehr als 6.000 Personen. Dieser Unterschied zwischen 6.000 und 6.900 entsteht durch die offenen Fälle, die nur auf das Verfahren warten, das jeder DNS-Befund durchlaufen muss. Denn nach der DNS-Identifizierung müssen wir jede Familie informieren und ihr alle unsere Erkenntnisse mitteilen; dann muss die Familie diese Identifizierung akzeptieren, und dann erfolgt die Bestätigung des Todes, die dazu führt, dass diese Person nicht mehr als vermisst geführt sondern für tot erklärt wird.“

Hinzu kommen noch 200 Fälle, wo eine DNS-Analyse vorliegt aber kein Vergleichsmaterial vorhanden ist, weil entweder die gesamte Familie ermordet wurde oder vermisst ist oder die Angehörigen das Land nach dem Krieg verlassen haben. Die Suche nach Massengräbern und die Registrierung von Vermissten begannen in Bosnien knapp nach Kriegsende. 1997 begann auch die Kommission für Vermisste mit ihrer Arbeit in Tuzla, wobei jedoch nur klassische Methoden der Identifizierung angewandt wurden. Daher gelang bis 2001 auch nur die Identifizierung von 149 Opfern. Ihre Zahl stieg sprunghaft an als ab 2002 die DNS-Analyse zum Einsatz kam. Mit 776 Opfern gelang 2009 die größte Zahl an Identifizierungen in einem einzelnen Jahr. Die besonderen Umstände des Jahres 2009 erläutert Emina Kurtalic so:

„In dieser Zeit wurde auch in einem Schwesternprojekt in der Stadt Lukavac in der Nähe von Tuzla ein außerordentlich schwieriges, sekundäres Massengrab bearbeitet, dass in der Gemeinde Zvornik entdeckt wurde. In diesem Grab waren die Körper außerordentlich vermischt und zerteilt, so dass die Anthropologen den Inhalt des Massengrabes in einen Raum auf Tische verteilten; dann wurde nicht nur ein DNS-Vergleich zwischen Knochenmaterial und Blutproben durchgeführt, sondern auch DNS-Proben zwischen Knochen verglichen. Auf diese Weise erhielten wir auch neue Namen und so stieg 2009 die Identifizierung auf mehr als 700 Personen.“

Die Arbeit der Internationalen Kommission für Vermisste ist aus zwei Gründen besonders wichtig. Zum einen wird damit Versuchen entgegengewirkt, die Zahl der Opfer des Massakers zu leugnen, denn in Serbien ist diese Opferzahl bei weitem nicht allgemein anerkannt. Entscheidend ist die Identifizierung jedoch für die Hinterbliebenen, die somit Gewissheit und die Möglichkeit zur Trauer am Grab ihrer Verwandten erhalten.

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