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Interview mit dem bosnischen Ministerpräsidenten

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Berichte Bosnien
Am Balkan ist Bosnien und Herzegowina eines der größten Sorgenkinder der EU. Der gemeinsame Staat der muslimischen Bosniaken, Serben und Kroaten besteht aus zwei Teilstaaten und zehn Kantonen und ist für seine 4,4 Millionen Einwohner einfach viel zu kompliziert und schwerfällig. Hinzu kommt die Erblast des Bosnien-Krieges und der Wille zum Zusammenleben war bisher ebenso schwach ausgeprägt wie der Wille zu ernsthaften Reformen. So dauerte es allein 16 Monate bis nach den Wahlen nun im Februar eine gesamtstaatliche Regierung gebildet werden konnte. Geführt wird dieser Ministerrat vom Kroaten Vjekoslav Bevanda. Mit ihm hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und folgenden Bericht über die Lage in Bosnien und Herzegowina gestaltet:

Der 56-jährige Vjekoslav Bevanda ist der erste Kroate, der seit dem Ende des Krieges vor 15 Jahren das Amt des bosnischen Ministerpräsidenten bekleidet. Er ist Finanzfachmann und gilt als ausgesprochener Pragmatiker. Bevanda führt eine Sechs-Parteien-Koalition aus Bosniaken, Serben und Kroaten. Von der politischen Elite fordert der kahlköpfige, mittelgroße Bevanda Effizienz und Verantwortung, um aus dem unterentwickelten Land, das bisher nur 50 Kilometer Autobahnen gebaut hat, einen modernen Staat zu machen. Vjekoslav Bevanda:

„Bosnien und Herzegowina ist ein Land, das sein Potential bisher nicht genützt hat. Wir haben mehr als zwei Milliarden Euro an garantiertem Geld für den Korridor Vc. Doch Politik und Unfähigkeit der Personen, die nun in der Föderation an der Macht sind, haben dazu geführt, dass diese Mittel nicht genutzt wurden. Man muss einfach nur die Tender ausschreiben, nicht mehr spielen, um Bosnien in eine große Baustelle zu verwandeln. Das ist es, jeder muss sich in diesem Staat verantwortungsvoll verhalten.“

Bevanda will sparen, Bürokratie abbauen, die Schattenwirtschaft bekämpfen und auch durch ein besseres Investitionsklima die triste soziale Lage verbessern. Hinzu kommt die Staatsreform. Denn bisher können nur Kroaten, Serben und Bosniaken in gewisse hohe Staatsämter gewählt werden, nicht aber Angehörige nationaler Minderheiten. Diese Bestimmung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im sogenannten Sejdic-Finci-Urteil aufgehoben, doch das Urteil wurde noch nicht umgesetzt. Auch in diesem Fall zeigt Bevanda Optimismus und verweist auf andere Erfolge:

„Binnen drei Tagen haben wir den langwierigen Streit ums Budget gelöst, haben Schlüsselgesetze verabschiedet. Wir müssen das Urteil Sejdic-Finci umsetzen und das Budget beschließen. Wenn der Wille dazu besteht, können wir bis Ende Juni den Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen. Allein wenn wir das Urteil umsetzen, dann würde bereits der EU-Vertrag über Assoziation und Stabilisierung in Kraft treten. Wir sind sehr nahe dran, und alles hängt von uns ab.“

Doch knapp dran war Bosnien schon oft, und in letzter Minute scheiterten grundlegende Reformen am fehlenden politischen Willen. Daher ist auch noch immer der internationale Bosnien-Repräsentant im Land, ein Amt, das derzeit der Österreicher Valentin Inzko innehat. Dessen Sondervollmachten und sein Büro, das OHR, will Bevanda so rasch wie möglich beseitigt wissen:

„Die Bedingungen dafür sind herangereift, um so viele Vollmachten wie möglich auf die EU-Kommission zu übertragen. Und was das OHR betrifft, so würde ich es bereits morgen abschaffen. Denn es hat hier nichts Gutes gebracht.“

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