× Logo Mobil

Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag beginnt heute der erste Prozess in der Justizgeschichte, bei der sich ein Staat wegen des Vorwurfes des Völkermordes verantworten muss. Angeklagt ist der Staatenbund Serbien-Montenegro, der aus dem

Radio
FJ7
Berichte Bosnien
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag beginnt heute der erste Prozess in der Justizgeschichte, bei der sich ein Staat wegen des Vorwurfes des Völkermordes verantworten muss. Angeklagt ist der Staatenbund Serbien-Montenegro, der aus dem Rest-Jugoslawien von Slobodan Milosevic hervorgegangenen ist. Kläger ist Bosnien-Herzegowina. Sarajevo wirft Belgrad vor, beim Bosnien-Krieg in den Jahren 1992 bis 1995 einen Völkermord an den Bosnjaken geplant zu haben. Diesen Vorwurf weist Serbien zurück. Der von Bosnien für den Fall ein Verurteilung geforderte Schadenersatz beträgt mehr als 80 Milliarden Euro. Aus Belgrad berichtet über den Prozessbeginn unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

Die Klage, über vor dem IGH, vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt wird, ist bereits 13 Jahre alt. Eingebracht hat sie Bosnien-Herzegowina im März 1993 noch während des Krieges. Darin wird dem damaligen Jugoslawien Völkermord und Aggression in Bosnien vorgeworfen. Sechs Zeugen hat Sarajevo für das Verfahren nominiert, das bis Mitte Mai anberaumt ist, wobei ein Urteil bis Jahresende möglich ist. Eine wichtige Rolle bei diesem Prozess werden Urteile und Erkenntnisse des UNO-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien spielen, das ebenfalls in Den Haag sitzt. So hat das Tribunal bereits festegestellt, dass der Krieg in Bosnien nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern auch ein internationaler Konflikt war, in den Bosnien und Rest-Jugoslawien verwickelt waren. Außerdem hat das Tribunal das Massaker an den 7.800 Bosnjaken in Srebrenica als Völkermord qualifiziert. Daher rechnet sich Sarajevo für den Prozess gute Chancen aus, obwohl die Hauptakteure des Krieges auf bosnisch-serbischer Seite, Radovan Karadjic und Ratko Mladic, noch immer auf der Flucht sind.

Optimistisch beurteilt auch Serbien seine Chancen, obwohl es alles unternommen hat, um den Prozess zu verzögern oder zu verhindern. Dazu zählt, dass Belgrad die Zuständigkeit des IGH bestreitet, weil Sarajevo die Klage zu einem Zeitpunkt einbrachte, zu dem Rest-Jugoslawien nicht Mitglied der UNO war. Diesen Einwand hat der IGH zurückgewiesen, trotzdem dürften ihn die serbischen Anwälte neuerlich vorbringen. Formalrechtlich hat dieses Argument einiges für sich; denn im Dezember 2004 wies der IGH die Klage Restjugoslawiens gegen NATO-Staaten wegen des Kosovo-Krieges mit der Begründung ab 1999 sei Jugoslawien kein UNO-Mitglied gewesen. Doch auch inhaltlich rechnet sich Belgrad Chancen aus, denn es sei nicht zu beweisen, das Rest-Jugoslawien als Staat beabsichtigt habe, an den Bosnjaken Völkermord zu begehen. Um diese These zu untermauern, werden in Den Haag 15 Zeugen aufgeboten, darunter Generäle der ehemaligen UN-Truppe in Bosnien. Serbien hat Bosnien ebenfalls wegen Genozid beim IGH geklagt, aber auch eine außergerichtliche, diplomatische Lösung angeboten. Einen Vergleich hat Sarajevo bisher aber trotz internationalen Drucks abgelehnt. Doch auch interne Widerstände sind nicht zu unterschätzen; für den Prozess sind nur die Bosnjaken, die bosnischen Kroaten nehmen eher eine abwartende Haltung ein, während die bosnischen Serben das Verfahren klar ablehnen. Für den Zusammenhalt des Landes dürfte der Prozess somit nichts Gutes bringen. Noch mehr steht für Belgrad auf dem Spiel. Entscheidet der IGH zugunsten Bosniens wäre Serbien das erste Land der Welt, das wegen Völkermordes vor Gericht verurteilt wurde, wobei auch massive Schadensersatzforderungen die Folge wären. Außerdem könnte das Urteil Vorbildwirkung haben, denn 1998 hat auch Zagreb Restjugoslawien wegen des Krieges in Kroatien auf Schadenersatz geklagt.

Facebook Facebook