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Belgrad und Srebrenica

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Das Massaker in der bosnischen Stadt wirft natürlich auch die Frage nach der Rolle Belgrads im Bosnien-Krieg auf. Zwar zählt Slobodan Milosevic zu den Unterzeichnern des Friedens-vertrages von Dayton; doch nach seiner Verhaftung im April gab Milosevic zu, was allgemein bereits bekannt war, daß Belgrad die bosnischen Serben materiell und finanziell unterstützt hat. Dazu zählt nach dem Krieg auch, daß einer der Hauptverantwortlichen des Massakers, General Ratko Mladic, jahrelang unbehelligt in Belgrad lebte. Wo sich Mladic derzeit aufhält, ist umstritten; denn trotz aller Dementis wollen die Gerüchte nicht verstummen, daß Mladic noch immer in Serbien ist. Weitgehend unbestritten ist jedoch, daß Srebrenica und die Auf-arbeitung der vergangenen 10 Jahre in Serbien erst am Anfang stehen. Darüber berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz:

In den serbischen Medien waren der Jahrestag des Massakers von Srebrenica und die Enthül-lung eines Gedenksteines für die mehr als 7000 Opfer bisher praktisch kein Thema. Lediglich die Tageszeitung „Politika“ druckte einen Artikel über die umfangreichen Sicherheitsvor-kehrungen, die für die heutige Gedenkfeier in Srebrenica getroffen wurden; denn die Stadt liegt in der serbischen Teilrepublik Bosniens und daher können Störaktionen serbischer Extremisten nicht ausgeschlossen werden. Im Politika-Artikel wurde die Zahl der Opfer aber nicht erwähnt Die große Ausnahme unter den serbischen Medien bildete der private TV-Sender B92; am Vorabend des Jahrestages brachte B92 in Serbien zum ersten Mal einen britischen Dokumentarfilm über das Massaker. B92 hat eine eigene Sendereihe zum Thema „Wahrheit, Verantwortung, Versöhnung“, die sich mit den Ereignissen im ehemaligen Jugo-slawien in den vergangenen zehn Jahren befaßt. Doch die Reichweite von B92 ist eher klein, seine finanzielle Lage ist schwierig; denn auch die demokratische Führung in Belgrad stützt sich eher auf die medialen Wendehälse mit großer Reichweite als auf einen Sender, der schon unter Milosevic kritisch berichtete. Eine Straßenbefragung in Belgrad über Srebrenica ergibt daher folgendes Bild:

1) „Was soll ich denken; die, die denken hätten sollen, dachten nicht. Ich habe nichts zu denken.“

2) „Ich weiß gar nichts“

3) „ Sie meinen sogenannte Verbrechen. Ich denke überhaupt nichts“

4) „Ich denke, daß ist eine kleine Stadt in Bosnien, ich sah sie im Fernsehen“

5) „Das war ein schreckliches Verbrechen, es war abscheulich, was passiert ist. Schuldig daran ist das Regime, dass hier herrschte und dies zuließ.“

6) „Ich weiß das, was jeder vom Fernsehen oder von Zeitungen weiß. An Srebrenica sind alle Beteiligten schuld, am meisten aber jene, die die Truppen dort führten, dann die Ausländer und schließlich auch die Bosnier teilweise, die mit ihrem Verhalten dazu beitrugen.“

7) „Ich denke nichts besonderes. Möglicherweise haben sie dort wieder ein Massengrab entdeckt, nehme ich an; Es ist ein Platz in Bosnien, Kroatien oder irgendwo dazwischen.“

Daß die Aufarbeitung der Ära Milosevic in Serbien erst am Anfang steht, ist kein Wunder; denn die Serben haben andere, vor allem wirtschaftliche Sorgen. Daß die serbische Regierung – abgesehen von der Milosevic-Auslieferung – trotzdem entsprechende Schritte einleitet, zeigt das geplante Gesetz über die staatlichen Feiertage. So soll der 15. Februar neuer Staatsfeiertag in Serbien werden; an diesem Tag kam es im Jahre 1804 zum ersten serbischen Aufstand gegen die Türken und am 15. Februar 1835 erhielt Serbien seine erste Verfassung. Dieses Datum soll die bisherigen beiden Staatsfeiertage, den 7. Juli und den 28. März ersetzen. Der 7. Juli erinnerte an den Kampf gegen die Besatzungsmächte im Zweiten Weltkrieg und mit dem 28. März wurde der neuen serbischen Verfassung gedacht, mit der unter Milosevic auch die Autonomie des Kosovo beseitigt wurde. Daß Vergangenheitsbewältigung unter den Serben nicht gerade populär ist, zeigt wiederum eine Straßenbefragung:

1) „Die, die etwas taten, sollen daran denken.“

3) „Es gab viele Dinge, die man Serben angetan hat und niemand hat bereut, warum sollten es dann wir tun?“

4) „Die, die schuldig sind, sollen für ihre Taten bestraft werden, wenn sie etwas Unrechtes taten.“

5) „Ich denke, die Serben sollten sich allem stellen, was passierte, Gutem wie Bösem. Was die Vergangenheitsbewältigung betrifft, so soll man sich der Wahrheit stellen. Die Schuldigen müssen vor Gericht und schließlich zugeben, was geschah.“

6) „Wir brauchen keine Vergangenheitsbewältigung. Ich bin nicht schuld daran; die die schuldig sind, sollen bereuen; zuerst die Führer unseres Landes, dann der Nachbarländer und Ausländer, die daran teilnahmen.“

7) „Möglicherweise sollte es das geben. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber wir sollten uns über viele Dinge Gedanken machen.“

Ein Historiker, der uns bei dieser Befragung zufällig begegnet, sagt zur Aufarbeitung der Vergangenheit in Serbien:

„Unsere Öffentlichkeit ist nicht genügend informiert; sonst gebe es ein größeres Verständnis für unsere Probleme. Viele böse Dinge hat unser Regime angerichtet, das das Land in den vergangenen zehn Jahren verwüstet hat. Am Zerfall Jugoslawiens ist das Memorandum der serbischen Akademie der Wissenschaften schuld. Eine Vergangenheitsbewältigung gibt es nicht; wir beweisen, daß wir im Recht sind, und das die ganze andere Welt schuldig ist.

Zu dieser Haltung trägt auch die politische Elite des Landes bei. So hat der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica stets Worte für die serbischen Opfer in den Kriegen und im Kosovo gefunden; bekannt ist auch Kostunicas kritische Haltung zum Haager Tribunal und seine Verurteilung des NATO-Bombardements. Klare Worte für die Opfer des groß-serbischen Nationalismus haben Kostunica aber auch die meisten anderen führenden serbischen Politiker bisher nicht gefunden. So ist denn in Serbien fast zwangsläufig noch die Einstellung dominant, die Slobodan Milosevic in seiner mehr als zehnjährigen Ära geprägt hat. Der Politologe Zoran Stoiljkovic sagt dazu:

„Milosevic gelang es, seine Politik als Politik der Nation darzutellen, um die Schuld für die Lage zu verteilen. So ist es für die Mehrheit der Serben zwar eine Tatsache, daß das Regime schuldig ist, daß alle von uns ein wenig schuldig sind und das die internationale Gemeinschaft schuldig ist, die mit doppelten Maßstäben maß. Aber wenn jeder ein wenig schuldig ist, dann ist tatsächlich niemand verantwortlich.“

Schuld am Zerfall Jugoslawiens

1) „Alle sind schuldig; es gibt nicht nur einen, der schuldig ist. Alle haben Ihren Anteil daran, jeder tat etwas dazu, daher sind sie für mich alle schuldig.“

2) „Die NATO“

3) „Viele sind daran schuld, in Jugoslawien wie im Ausland“

4) „Ich denke, alle Politiker sind daran schuld.“

5) „Ich denke, daß jeder ein wenig dafür verantwortlich ist. Jeder wollte ein Stück Land für sich. Für das Desaster des serbischen Volkes ist Milosevic der Hauptschuldige.

6) „Es gibt keinen Alleinschuldigen. Am meisten sind die Politiker schuld, aber nicht nur die serbischen, sondern auch jene in den anderen Teilrepubliken.“

„Ich kann niemanden speziellen nennen. Alle unsere Politiker in den vergangenen zehn Jahren sind dafür verantwortlich.“
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