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Außenminister Lagumdjia: Das Prinzip 1, 2, 3, 4

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Berichte Bosnien
In Bosnien stehen die neue nicht-nationalistische Regierungskoalition und die internationale Verwaltung vor ihrer größten Bewährungsprobe seit dem Kriegs-ende vor fünf Jahren. Diese Feststellung traf der Stellvertreter des Bosnien-Beauftragten Wolfgang Petritsch, nach den jüngsten Ausschreitungen in Mostar. Ausgelöst wurde die Krise dadurch, daß Petritsch die Hercegovacka-Banka in Mostar unter Zwangsverwaltung stellen ließ. Über Konten dieser Bank finan-zierte die kroatische Nationalisten-Partei HDZ unter ihrem Vorsitzenden Ante Jelavic die von ihr im März ausgerufene Selbstverwaltung der Kroaten in der Herzegovina. Bei der Übernahme der Bank kam es zu Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Friedenstruppe SFOR. Doch nicht nur extremistische Kroaten sind mit der Lage ihre Volksgruppe in Bosnien unzufrieden, denn die Angst vor einer Majorisierung durch die Bosniaken, die bosnischen Moslems, ist groß und die Wirtschaftslage ganz Bosniens ist schlecht. Über die Situation in Bosnien hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit dem bosnischen Außenminister Zlatko Lagumdjia gesprochen; hier sein Bericht:

Die HDZ, die Partei der kroatischen Nationalisten, sieht sich in Bosnien in die Defensive gedrängt. Seit dem Tod des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und dem Machtwechsel in Kroatien verlor sie die finanzielle Unterstützung aus Zagreb. In Bosnien-Herzegowina selbst gehört die HDZ der neuen nicht-natio-nalistischen Koalitionsregierung ebenfalls nicht an. In dieser Lage nützte die HDZ die Ängste der bosnischen Kroaten vor einer Marginalisierung durch die zahlenmäßig weit stärkeren Bosniaken und rief die Selbstverwaltung in der Herzegowina aus. Der Bosnien-Beauftragten Wolfgang Petritsch setzte HDZ-Vorsitzenden Ante Jelavic als Mitglied des Staatspräsidiums ab und verbot ihm jede politische Tätigkeit. Die HDZ rief darauf hin kroatische Soldaten und Poli-zisten auf, sie aus dem Dienst in der bosnisch-kroatischen Föderation zurückzu-ziehen, ein Aufruf, der von den Soldaten fast lückenlos befolgt wurde. Zu den Ereignissen in Mostar sagt der bosnische Außenminister Zlatko Lagumdjia:

„Das, was in der Herzegovina passiert und das, was die HDZ versucht ist nichts anderes als eine Rebellion und eine verfassungswidrige Vorgangsweise, wie wir sie bereits erlebt haben. Nur hat die HDZ das früher als Teil des Staatsapparates gemacht und agiert nun als Aufständische. Alle Institutionen, die die HDZ nun aktiviert hat, bestanden auch früher, nur in noch stärkerer Form. Früher wurde das durch die Unterschrift des HDZ-Finanzministers abgesegnet und nun ist es eben die Unterschrift eines Mitglieds der sogenannten Selbstverwaltung."

Doch die Zusammenstöße in Mostar können nicht nur mit kroatischem Extre-mismus erklärt werden, denn die HDZ genießt auch eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung. Lagumdjia räumt daher ein, daß unter den Kroaten als kleinstem der drei konstitutiven Völker Bosniens Angst vor einer Majorisierung durch die Bosniaken in der gemeinsamen Föderation besteht. Sein Ansatz lautet daher:

„Wir müssen in zwei Richtungen gehen. Politisch müssen wir den Dialog im Rahmen der Institutionen suchen. Parallel dazu muß der Rechtsstaat auf offen-sichtlich kriminelle Aktionen reagieren. Denn Herr Jelavic und die HDZ ver-folgen als Hauptziel die Bewahrung ihrer Privilegien, die ein Ergebnis krimi-neller Aktivitäten sind, und nicht die Interessen des kroatischen Volkes.“

Doch wie und mit wem konkret der Dialog geführt werden soll ist offen. Ebenso offen ist, ob es gelingen kann, der HDZ den Nimbus zu nehmen, der Wahrer der kroatischen Interessen zu sein. Klar ist jedoch, daß Außenminister Lagumdjia nach Föderation und serbischer Teilrepublik eine dritte kroatische Entität nicht zulassen will:

„Bosnien-Herzegowina ist derzeit nach dem Prinzip 1,2,3,4 organisiert. Ein Staat, zwei Entitäten, 3 Realitäten und 4 Millionen Einwohner. Bosnien kann als Staat mit drei Entitäten nicht existieren, denn sonst würden daraus sehr schnell drei Staaten werden. Auf den 50.000 Quadratkilometern, die wir haben, wäre es kein Problem drei Staaten zu bilden. Doch das Problem besteht darin, daß wir 150.000 Quadratkilometer brauchten, um alle Ansprüche dieser drei Gruppen zu erfüllen.“

Vertreter der internationalen Gemeinschaft in Bonsien befürchten, daß die Spannungen in der Herzegovina den zivilen und politischen Wiederaufbau sowie die Flüchtlingsrückkehr gefährden könnten. Lagumdjia selbst gibt sich nicht so pessimistisch und einen Zerfall seines Landes schließt der bosnisische Außenminister aus:

„Eine gewisse Zahl von Kroaten würde zweifellos lieber zu Kroatien gehören und manche Serbien würden lieber zu Serbien gehören. Auch eine gewisse Zahl an Bosniaken würde zweifellos lieber eine eigenen bosnisch-muslimischen Staat haben. Doch diese Strömungen sind keine vorherrschenden politischen Optionen mehr.“
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