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Volkszählung und Krise in Bosnien und Herzegowina

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Berichte Bosnien
In Bosnien und Herzegowina findet derzeit eine Volkszählung statt. Was in anderen, normalen Staaten eine rein technische Angelegenheit ist, ist in Bosnien mit seinen drei Völkern eine hochpolitische Sache. Daher dauerte es auch fünf Jahre ehe bis sich Bosniaken, Serben und Kroaten auf ihre Durchführung einigen konnten. In Bosnien ist das die erste Volkszählung seit dem Jahre 1991. Durch vier Jahre Krieg und viele Massenmorde hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung jedenfalls drastisch verändert.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Bosnien und Herzegowina

Insert1: Dusanka Majkic, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im bosnischen Parlament

Aufsager: Christian Wehrschütz aus Sarajewo

Gesamtlänge: 2’21

18.000 Zähler sind derzeit unterwegs, um die erste Volkszählung seit 23 Jahren durchzuführen. Die Zählung selbst durfte nicht gefilmt werden; die Fragen reichen von der Art der Toilette bis hin zu Muttersprache und Nationalität. Die Feststellung der Stärke der drei Völker und ihre Siedlungsgebiete sind das Interessanteste. So wird die Zählung einigermaßen darüber Aufschluss geben, ob Sarajewo wirklich noch als multiethnische Stadt bezeichnet werden kann und wie viele Vertriebene tatsächlich zurückgekehrt sind. Wie kompliziert das Zusammenleben ist, zeigen bereits die Fragebögen. Die bosnische Version unterscheidet sich von der kroatischen praktisch nur durch zwei Worte, trotzdem mussten zwei Formulare gedruckt werden. Das bosnische Formular wiederum entspricht dem serbischen, das aber in kyrillischer Schrift gedruckt werden musste. Daher ist es kein Wunder, das sich die drei Völker noch nicht auf ein neues Wahlrecht einigen konnten. Bisher war es so, dass in das Staatspräsidium nur ein Bosniake, Serbe und Kroate gewählt werden konnte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte diese Regelung vor vier Jahren für rechtswidrig, weil sie nationale Minderheiten diskriminiert. Vor zwei Tagen scheiterte unter Vermittlung der EU wieder ein Versuch, einen Kompromiss zwischen den bosnischen Völkern zu finden. Grund dafür ist vor allem die Angst der Kroaten als kleinstes Staatsvolk majorisiert zu werden. Der größte gemeinsame Nenner ist somit die Unzufriedenheit:

„Die Kroaten sind unzufrieden, weil sie glauben, dass sie nicht gleichberechtigt sind; die Serben, weil sie glauben dass dieser Staat nur den Bosniaken entspricht; und die Bosniaken sind unzufrieden, weil sie als zahlenmäßig stärksten Volk dafür sind, dass es nach dem Prinzip ein Bürger – eine Stimme geht. Das sind drei entgegengesetzte Seiten. Auf diese Weise kann Bosnien und Herzegowina nicht dauerhaft bestehen.“

Viel Zeit hat Bosnien nicht mehr; denn im Herbst nächsten Jahres müssen das Staatspräsidium und die Parlamente des Landes neu gewählt werden.

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