Karadjic aus Autor
Fernsehen
Kulturzeit
Berichte Bosnien
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz Belgrad
Insert1: 2’38 Miroslav Tohoj Verleger
Insert2: 5’30 Srdjan Bogosavljevic Meinungsforscher
Kameramann: Nikola Novakovic
Ton: Dragisa Jelic
Schnitt: Milan Vasilijevic
Schauspieler:
Stanko Bogojevic (Majstorovic)
Lepomir Ivkovic (Radojica)
Milos Djordjevic (Edi)
Uros Urosevic (Dobrisa)
Text:
Die vom bosnischen Regisseur Danis Tanovic im Film „Niemandsland“ dargestellten Ver-ständigungsprobleme und die Unkenntnis des Westens hat der Serbe Radovan Karaddjic in Bosnien lange für sich zu nutzen gewußt. Karadjic spielte mit dem Westen, unterzeichnete Abkommen, die wenig später wieder gebrochen wurden. Schließlich riß die Geduld des Westens und wegen Kriegsverbrechen wird Karadjic nun sogar via Fernsehspots gesucht. Fünf Millionen Dollar sind auf seine Ergreifung ausgesetzt. Doch auch der jüngste Versuch der Friedenstruppe SFOR scheiterte, Karadjic im Dorf Celebici zu fassen. Die Serben in diesem Dorf im bosnisch-montenegrinisch Grenzgebiet stehen nach wie vor zu ihm.
Karadjic, den traditionellen Werten des Serbentums eng verbunden, stammt aus dem Dorf Petinica bei Niksic in Montenegro Von seiner Mutter Jovanka wurde Radovan auf diesem Hang geboren; karge Umgebung und patriarchalische Erziehung prägten Karadjic, dessen Vater als Antikommunist fünf Jahre unter Tito im Gefängnis saß. Der Stammbaum der Familie reicht weit zurück und weist auch bedeutende Vorfahren auf. Die Kathedrale in Belgrad bietet ein Beispiel dafür; hier liegt Vuk Karadjic, der Vater des serbischen Alphabets begraben. Miroslav Tohoj, der Verleger und frühere Informationsminister von Radovan Karadjic, sieht Vuks Nachfahren auch als großen Literaten:
„Wir kennen viele Fälle aus der Geschichte der europäischen Literatur von Knut Hamsun bis Ezra Pound, daß Autoren die eine oder andere Ideologie vertreten haben, daß sie der einen oder anderen Anklage unterworfen waren, doch ihre Bücher sind nie in Frage gestellt worden, sie lebten als wahre Werte fort.“
Tohoj hat auch die Satire „Sitovacija“ verlegt, in der Karadjic seine Weltsicht und alle Klischees präsentiert, die den Bosnien-Krieg geprägt haben. Ort der Handlung ist der Gast-garten eines kleines Kaffes. Im Ausschnitt, den serbische Schauspieler für diesen Beitrag aufgeführt haben, sucht Edi, Vertreter des Westens, einen Kandidaten für das Amt des Prä-sidenten der Republika Srpska. Edi wird als beschränkt gezeichnet und spricht schlecht serbisch. Majstorovic, der Leadermaker, glaubt in Radojica, den Mann gefunden zu haben. Das Vorstellungsgespräch droht bereits am Streit um den traditionellen serbischen Gruß zu scheitern, den Radojica verwenden will. Doch der Westen findet wie stets in Bosnien eine Lösung:
Edi: Oh, ich sicher, gehen eine Finger, das Kompromiß sein.
Radojica: Sind sie sich sicher, wenn sie wollen, dann soll es ein Finger sein. Aber nicht, daß es dann nachher....
Edi: Gehen eine Finger, gehen eine Finger!
Radojica: Einverstanden, wenn das möglich ist. So, oder?
Edi: Nein, nicht so eine. Sondern so eine. Du uns haben gezeigt so eine, und klar bedeuten gute Serben.
Dobrisa: Na, ist die „Sitovacija“, ist die Bescherung da ?
Radojica: Ja, gerade jetzt. Verschwinde Dobrisa, damit Du die Situation nicht verdirbst !
Dobrisa: Na, ich möchte nur ein bißchen hinein schnuppern und die Situation genießen.
Radojica: Oh mein Gott, mein Gott, wie schnell haben wir uns geeinigt. Aber sind sie sich sicher, daß es so nicht möglich ist?
Edi: Nicht so eine! Ich dir brechen diese Finger, das seinen Stinkefinger, verstehen? Es gehen nicht eine Finger so, es werden böse sein alle Völker. Nicht geben drei Finger, da werden böse sein zweite Entität, verstehen?
Radojica: Aber es werden sich weder die Kroaten, noch die Moslems ärgern. Lassen sie uns ruhig. Sie zeigen ihre, wir zeigen unsere...
Für die Bosniaken in Sarajevo und ganz Bosnien ist der freie Radovan Karadjic ein Ärgernis, doch auch bleibendes Symbol für Haß, Vertreibung und Verbrechen. Anders ist die Lage in Belgrad. Hier ist die Präsentation von Karadjic als Schriftsteller, ja als Kinderbuchautor, Teil des politischen Machtkampfes. Verkauft werden Devotionalien von Karadjic und dem ehe-maligen bosnischen Serben-General Ratko Mladic vor allem bei Kundgebungen nationa-listischer Parteien. Ihr Wählerpotential schätzt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavlevic auf maximal 20 Prozent:
„Karadjic und Mladic werden generell benutzt, um den Stellenwert des Nationalismus und der nationalistischen Parteien bei den Wählern zu erhöhen. Zwei derartige Parteien bestehen bereits, doch noch einige könnten auf der politischen Bühne erscheinen; dieser Teil des politischen Spektrums wird nicht wirklich abgedeckt und so besteht Platz. Karadjic und Mladic dienen weit stärker als Symbole, viel weniger sorgt man sich um ihr Schicksal.“
Denn die Serben haben sich auch mit dem Haager Tribunal abgefunden:
„Die Haltung gegenüber dem Haager Tribunal ist ziemlich stabil. Großes Mißtrauen, wenig positive Einstellungen, doch kein Widerstand gegen die Zusammenarbeit. Sie wird als not-wendig, als Schlüssel für die tiefere und weitere Zusammenarbeit Serbiens und Jugoslawiens mit Europa empfunden. Daher ist es ganz klar, daß es nur wenige ernst zunehmende Proteste im Falle einer Verhaftung geben würde.“
Trotzdem ist Den Haag weit, und ebenso weit ist Serbien noch von einer kompromißlosen Aufarbeitung der eigenen jüngsten Vergangenheit entfernt.
Der Film „Niemandsland“ von Danis Tanovic endet tragisch. Die SFOR zieht ab und läßt einen Bosniaken im Niemandsland zurück. Der Mann kann nicht aufstehen, denn er liegt auf einer scharfen Schützenmine. Auch Bosnien und Serbien haben sich noch nicht erhoben; für ihre Entwicklung ist wichtig, daß Personen wie Radovan Karadjic kaum als Schriftsteller, schon gar nicht als Helden, sondern als Täter in Erinnerung bleiben.