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Nordalbanien als Entwicklungsschwerpunkt Österreichs

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Wiener Zeitung
Berichte Albanien
Mit hunderttausend Einwohnern ist die Stadt Shkodra das politische Zentrum Nordalbaniens. Am Skutarisee im Grenzgebiet zu Montenegro gelegen verfügt die Stadt auch über die wohl einzige, wirklich moderne Berufsschule Albaniens – die österreichische HTL für Informationstechnologie. Von einer hohen Mauer umgeben symbolisiert bereits die Einfahrt die vielen Widersprüche, die Albanien bei seiner Transition auf dem Weg zu einem modernen europäischen Staat aufweist. Die Straße ist nicht asphaltiert, hat viele Löcher, die nach einem Regen mit Wasser gefüllt und daher noch gefährlicher sind, und auch ein Kanaldeckel fehlt, was beim Zugang noch mehr Aufmerksamkeit erfordert, vor allem wenn man nur wenige Tage an der Schule ist.

Sobald die Einfahrt passiert ist, betritt man eine andere Welt, die Welt einer HTL modernen westlichen Zuschnitts. 15 Lehrer aus Österreich unterrichten hier seit vier Jahren Gegenstände wie Computerpraktikum, Elektrotechnik und Softwareentwicklung. Hochwertig ist aber auch die Sprachausbildung. Neben drei Wochenstunden Englisch gibt es auch noch sechs bis sieben Stunden Deutsch, Fächer die alle von Österreichern unterrichtet werden. Werden mit dem Deutschlernen von Grund auf begonnen wird, sollte bei den Fächern Englisch und Mathematik eigentlich auf Vorkenntnissen aufgebaut werden. Diese bestehen aber vor allem bei Kindern vielfach nicht, die aus Dörfern kommen. Dort gibt es kaum albanische Englischlehrer, doch weil Schüler im Zeugnis eine Note bekommen müssen, erhalten sie auch ohne Unterricht oft die Bestnote. Ähnliche Probleme bestehen bei Mathematik. Mehr Aussagekraft haben Noten bei Kindern aus der Stadt Shkodra selbst.

Überraschend ist der hohe Mädchenanteil; von den 160 Schülern sind ein Drittel Mädchen, die in ihrer Begeisterung für Technik ihren Schulkollegen um nichts nachstehen. So sagt etwa die 16-jährige Alma Deja zu ihrem Lieblingsfach: „Am meisten interessiert mich das Computerpraktikum; da können wir die Fehler in einem Computer finden, und das können wir am besten in diesem Fach lernen. Alm ist 16 Jahre alt und stammt aus dem Dorf Mjede, das einige Kilometer außerhalb von Shkodra liegt. Dort leben ihr Vater, ihre Mutter und ihr kleinerer Bruder. Der Vater war Unteroffizier, doch sein Posten fiel der Armeereform zum Opfer. Anschließend arbeitete er einige Jahre in Italien, wo die Familie Verwandte hat, Doch nun ist der Vater arbeitslos. Nach Haus fährt Alma nur am Wochenende mit einem Kleinbus. Unter der Woche lebt sie mit anderen Schülerinnen in einem Konvikt wenige hundert Meter von der Schule entfernt. Geführt wird das Konvikt von vier geistlichen Schwestern, einer Italienerin und drei Albanerinnen. Die Versorgung der Kinder ist gut, ein Raum zum Lernen ist vorhanden, lediglich die Unterbringung ist etwas beengt, weil doch jeweils drei Mädchen in einem Zimmer untergebracht sind. Pro Monate kostet das Konvikt etwa 70 Euro, im Winter wegen der Heizung etwa mehr. Alma Deja gehört zu den katholischen Albanern, die eine starke Bindung auch an ihre Kirche haben, die im politischen Leben vor allem des Nordens ebenfalls nicht unbedeutend ist. Alma geht unter der Woche zwei Mal in der Früh in Shkodra zu Messe, am Wochenende besucht sie den Gottesdienst in einem Nachbardorf, weil Mjeda keine eigene Kirche hat. Internet hat sie zu Hause keines, wohl aber im Konvikt und in der Schule. Auch in dieser Generation ist das Facebook ein unverzichtbares Mittel der Kommunikation, während bei den Mobiltelefonen, die ebenfalls jeder Schüler hat, je nach Geldbeutel eher gespart wird.

Zu den vielen Herausforderungen, die die Schule vor allem zu Beginn meistern musste, zählten abgesehen von Problemen mit der Infrastruktur (Netzwerk, Internet etc.) auch ein Problem mit dem Image. In Albanien ist eine vielfach mäßige allgemeinbildende höhere Schule angesehener als eine Berufsausbildung in einer Schule. Auf diesem Gebiet musste die Schule viel Überzeugungsarbeit leisten, obwohl ihre Schüler auch bereits vor dem Abschluss auf dem lokalen Arbeitsmarkt gefragte Leute sind. Denn gute Berufsausbildung in Schulen ist in ganz Albanien und auch am Balkan Mangelware. Die zweite Herausforderung ist Deutsch als Unterrichtssprache, werden doch insgesamt von 70 Prozent aller Stunden in deutscher Sprache gehalten.. Doch im Unterschied zum Kosovo mit seinen vielen Gastarbeitern in der Schweiz, Deutschland und Österreich, dominieren in Albanien abgesehen von Englisch vor allem Griechisch und Italienisch. Daher gibt es in der HTL auch eine sogenannte „Nullte“ Klasse, in der vor allem die Deutschkenntnisse auf das nötige Niveau gebracht werden. Auch Alma Deja hat auf diese Weise begonnen, Deutsch zu lernen, doch es war erst eine Liebe auf den zweiten Blick, wie sie zugibt: „Mir gefällt diese Sprache; am Anfang habe ich aber gesagt, was ist das für eine Sprache, das ist wie Chinesisch.“ Diese Hürde ist sich die HTL durchaus bewusst; daher versucht die Schule mit Unterstützung aus Österreich auch in Grundschulen Deutsch stärker zu verankern, um die Basis zu verbreitern, wobei derartige Anstrengungen sich natürlich vorwiegend auf Städte konzentrieren.

Das Stadt-Land-Gefälle macht sich an der HTL noch auf andere Weise bemerkbar. Nordalbanien ist ein religiös gemischtes Gebiet; wie die genaue Verteilung der Albaner beiderlei Glaubensbekenntnisses in der Stadt selbst ist, lässt sich nicht ermitteln, weil in der Volkszählung diese Frage bisher nicht gestellt wurde. Doch Anteil von Katholiken und Moslems dürfte in etwa gleich sein, wobei die triste soziale und wirtschaftliche Lage die Abwanderung aus ländlichen Gebieten begünstigt. Diese soziale Schichtung zeigt sich auch unter den Schülern, wobei in der Schule das Zusammenleben durch die unterschiedliche Religion nicht belastet wird, während darüber hinaus durchaus Vorbehalte auf beiden Seiten spürbar sind. Trotzdem zeigt sich die triste soziale Lage Albaniens auch in der Schule. Von den 160 Schülern bekommt ein Drittel ein Stipendium, weil das Schulgeld von etwa 70 Euro pro Monat für viele Eltern eine zu große Bürde ist. Finanziert werden diese Stipendien zum Teil auch von privaten Geldgebern. Dazu zählt etwa der „Verbund“ mit zwei Stipendien. Der Verbund errichtet wenige Kilometer außerhalb von Shkodra gemeinsam mit der EVN zwei Laufkraftwerke, die im Jahre 2012 ans Netz gehen und die Sicherheit der Stromversorgung in Albanien weiter erhöhen sollen. Das Investitionsvolum beträgt 200 Millionen Euro.

Natürlich gibt es auch in Shkodra sehr große Einkommensunterschiede, und froh sein muss der, der eine Arbeit hat. Zu den Arbeitgebern zählt eine Textilfabrik mit etwa 600 Mitarbeitern. Produziert wird Damen- und Herrnunterwäsche vor allem für den italienischen Markt. Als Näherinnen arbeiten nur Frauen; sie verdienen etwa 150 Euro netto im Monat; viele von ihnen sind aus Dörfern zugewandert. Geldsorgen haben österreichische Lehrer in Shkodra dagegen nicht. Auf den Punkt bringt es der Vorarlberger Lehrer Wolfram Dünser:

„Um einen Euro, um einen guten, kann man hier in einem Beisel ein Bier trinken oder eine Schachtel Zigaretten kaufen; das wirkt sich für mich natürlich schon aus, weil in Österreich rauche ich ungefähr für das Geld, was ein Industriearbeiter im Durchschnitt verdient.“

Weniger gemütlich haben es Dünser und seine Lebensgefährtin, die gerade sieben Monate in Albanien leben, im Winter. Die meisten Wohnungen sind nicht isoliert, daher wird es trotz Heizung nicht wirklich richtig warm. Mit ähnlichen Problemen haben auch andere Lehrer zu kämpfen, die nicht wie die „Dünsers“ mit Strom, sondern mit Holz und Gas heizen. Endend wollend sind auch die kulturellen Möglichkeiten. Shkodra hat nur ein Kino und ein Theater; beide werden im Winter nicht bespielt, weil keine Heizung vorhanden ist, doch auch sonst ist das Theaterprogramm eher mäßig, zum die meisten Lehrer zwar ausreichend Albanisch sprechen, um Leben und Einkaufen zu können, nicht aber, um ein den – wenn auch seltenen Aufführungen in Albanischer Sprache Gefallen zu finden. Bleiben Natur (Berge, Meer) und das Treffen mit Freunden. Leichter haben es Paare, weil Einzelpersonen in der sehr traditionellen nordalbanischen Gesellschaft viel schwerer Anschluss finden. Über die traditionelle Rolle der Frau und das Patriarchat, weiß praktisch jeder Lehrer Erlebnisse zu erzählen. Mittelbar betroffen davon, sind auch die Österreicher, wie etwa das Ehepaar Gerlinde und Manfred Tagini. Beide sind schon das neunte Jahr in Albanien. Manfred arbeitet als Deutschlehrer an der HTL, Gerlinde war früher österreichische Bildungsbeauftragte und ist nun Direktorin der HTL. Diese Rollenverteilung zu vrstehen, fällt so manchen Albanern offensichtlich nicht leicht, erzählt Gerlinde:

„Es ist natürlich schon so, dass wir sehr oft gefragt werden, warum ich Direktorin bin und mein Mann nicht Direktor ist; und ich helfe mir dann auch immer mit einer sehr traditionellen Antwort und sage: „Ich bin die Direktorin in der Schule und mein Mann ist der Direktor zu Hause, und das versursacht immer ein Lachen und dann ist diese schwierige Situation ein Mal gelöst für die meisten.“

Doch Modernisierung und Europäisierung ist eben nicht nur eine Frage der Infrastruktur, sondern auch der Mentalitätsänderung. Auf diesem Weg leistet die österreichisch HTL zweifellos einen umfassende Beitrag, durch Wissensvermittlung aber auch durch das Vorbild der Lehrer, die in Nordalbanien im Einsatz sind.

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